Müller, Albert, Gersau – Unikum in der Schweizer Geschichte, 3. Aufl. Hier und jetzt. Verlag für Kultur und Geschichte GmbH, Baden 2018, 128 S., 28 farbige und 13 schwarzweiße Abb. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.
Der promovierte Historiker Albert Müller, langjähriger Gymnasiallehrer und gewählter Stadtschreiber von Zug, beschreibt nach 1982 und 2013 in dritter Auflage die Gemeinde Gersau am Vierwaldstädter See und ihre besondere staatsrechtliche Situation innerhalb der Eidgenossenschaft. Das Kloster Muri war die erste bekannte Grundherrschaft des Fleckens und hatte dieses Gut von den Grafen von Lenzburg als Stiftung erhalten. Nach dem Aussterben der Grafen von Lenzburg übernahmen die Habsburger als Vögte des Klosters Muri den Schutz des Dorfes. Seit 1359 waren die Gersauer gegenüber den vier Waldstätten bündnispflichtig. Das Dorf wurde an Luzerner Bürger verpfändet, verschiedene von ihnen verstarben in der Schlacht von Sempach (1386). Im Jahre 1390 konnten die Gersauer gegen Zahlung einer erheblichen Summe die Pfandschaft einlösen und sich dadurch freikaufen. Gersau gehörte damit als unverpfändbares Land den Waldstätten an und so konnten die Hofleute und Kirchgenossen von Gersau die Steuerrechte und die Gerichtsbarkeit ohne Vogt ausüben. 1433 erhielt eine Gersauer Gesandtschaft, die zu Kaiser Sigismund von Luxemburg gereist war, der sich auf dem Baseler Konzil befand, eine urkundliche Bestätigung ihrer Reichsfreiheit. Mit dieser kaiserlichen Bestätigung ihrer Privilegien, der Freiheit und der Rechte wurde das Land Gersau ein direkt dem Kaiser unterstelltes Ländchen. Seiner Größe nach war es indes nur ein Dorf, jedoch nutzte es seine Freiheit klug. Gegenüber den benachbarten Waldstätten erfüllte es bis zum Einfall der Franzosen (1798) seine Bündnispflichten und führte im Übrigen ein freiheitliches, selbstbewusstes Eigenleben. Zur Regelung örtlicher Rechtsfragen gab sich Gersau ein eigenes Hofrecht und ein Eherecht (1436), beide galten bis 1798. Wenn der Verfasser diese überaus interessanten Rechte nicht abgedruckt hat, so ist dies bedauerlich, doch im Abdruck im ‚Geschichtsfreund‘ der fünf Orte (1851) liegen die Texte dem Interessierten vor. Die Gersauer erbauten ein Rathaus, einen Galgen und eine Trülle (Trillhäuschen) als Zeichen ihrer ‚staatlichen‘ Macht mit Hochgerichtsbarkeit und Niedergerichtsbarkeit sowie Unabhängigkeit. In der Nutzungsregelung der Genossame hatten die Hofgenossen gemeinsame Nutzungsrechte an den Wiesen, Alpen, Weiden und Wäldern, diese Allmendkorporation blieb bis 1798 erhalten und erbrachte die Kosten für den Unterhalt der Kirchenhäuser und Pfrundenhäuser, der Wege und Stege und die Bezahlung der Geistlichen, des Orgeltreters, des Waisenvogts und des Nachtwächters. Nach 1730 erhöhte sich die Bevölkerungszahl, als die Gemeinde durch die entstehende Seidenwirtschaft einen Aufschwung erlebte. Die Sonderstellung wurde auf der eidgenössischen Tagsatzung vom 22. 7. 1821 in Bern beendet: ‚Die Landschaft Gersau, als integrierender Teil des Kantons Schwyz, wird der Regierung dieses hohen Standes freundeidgenössisch dahin empfohlen, dass dieselbe von sich aus die näheren Verhältnisse des Kantons zu dieser Gemeinde, mit möglichster Rücksicht auf das Wohl und die Wünsche dieser letzteren, festsetzen möge.‘ Der bald einsetzende Tourismus zur Rigi milderte die Veränderung für die Bewohner der ‚altfryen Republik‘ am Vierwaldstätter See. In der Diskussion um die Freiheit in ländlichen Gebieten Europas kommt bei Historikern Gersau wegen seiner ‚gekauften Freiheit‘, die immerhin etwa vierhundert Jahre bestand, Bedeutung zu.
Neu-Ulm Ulrich-Dieter Oppitz