Mecke, Christoph-Eric, Begriff des Rechts und Methode der Rechtswissenschaft bei Rudolf von Jhering (= Beiträge zu Grundfragen des Rechts 25). V & R unipress, Göttingen 2018. 747 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Rudolf Jhering (Ihering) wurde als Sohn eines 1825 verstorbenen Notars und Abgeordneten der Ständekammer Hannovers in Aurich 1818 geboren, studierte ab 1836 Rechtswissenschaft in Heidelberg, Göttingen, München und Berlin (Georg Friedrich Puchta), wurde in Berlin 1842 promoviert sowie 1843 bei Gustav Homeyer habilitiert und wechselte 1845 nach Basel, 1846 nach Rostock, 1849 nach Kiel, 1852 nach Gießen, 1868 nach Wien sowie schließlich 1872 nach Göttingen, wo er 1892 mit 74 Jahren starb. Zunächst folgte er bis 1858/1859 seinem Lehrer Puchta und erklärte das Recht aus seiner inneren Vernünftigkeit. Danach erkennt er die Notwendigkeit, das überkommene Recht der bäuerlichen Zeit für die industrielle Gegenwart zu modernisieren und befasst sich allerdings ohne abschließendes überzeugendes Ergebnis unter dem Einfluss soziologischer Überlegungen mit dem Zweck in dem Recht.
Mit diesem herausragenden deutschen juristischen Gelehrten des 19. Jahrhunderts beschäftigt sich das vorliegende grundlegende Werk des in Passau, Tours und Göttingen in Rechtswissenschaft, Geschichte und Soziologie ausgebildeten, als Stipendiat der niedersächsischen Graduiertenförderung in Göttingen 2009 mit einer Dissertation über Begriff und System des Rechts bei Georg Friedrich Puchta promovierten, lange von Stephan Meder besonders geförderten und zuletzt als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Brunswick European Law School der Ostfalia Hochschule in Wolfenbüttel und Lehrbeauftragter an der Universität Hannover tätigen Verfassers. Nach dem kurzen Vorwort bildet die wichtige Arbeit den Abschluss eines in seinen Ursprüngen auf die 1990er Jahre zurückgehenden größeren Projekts zu der „Begriffsjurisprudenz“ in der deutschsprachigen Rechtswissenschaft in dem 19. Jahrhundert und reiht sich in Untersuchungen ein, die in den letzten Jahrzehnten zu führenden Vertretern der Pandektistik erschienen sind. Dadurch wird allmählich die in dem 20. Jahrhundert vorherrschende stereotypische Darstellung des so genannten begriffsjuristischen Rechtsdenkens des 19. Jahrhunderts durch differenzierende Einzelbetrachtungen ersetzt.
Gegliedert ist die neue, veröffentliche Schriften, unveröffentlichte Schriften, Briefe und Nachlassdokumente verwertende Betrachtung nach einer sachkundigen Einleitung in zwei Teile. Davon hat der etwas kürzere erste Teil Jherings Bestimmung der Geltungsvoraussetzungen für das Recht zu seinem Gegenstand, wobei nach Jhering der Volksgeist als Geltungsgrundlage des positiven Rechtes durch die Positivität des Rechtes und die Rechtsquellen Gewohnheitsrecht und Gesetzesrecht sowie die Rechtsquellenfunktion der Rechtswissenschaft bis zu Jherings wissenschaftskritischer Wende und nach Iherings wissenschaftskritischer Wende ersetzt wird. Der zweite, etwas längere Teil betrifft Jherings inhaltlichen Begriff des Rechtes und die Methode der Rechtswissenschaft. An dem Ende fasst Mecke seine vielfältigen neuen Erkenntnisse in 55 Thesen in mehreren Sprachen zusammen.
Danach hat Jhering nach seiner methodentheoretischen Wende nicht nur an der naturhistorischen Auffassung der „Structur“ des Rechtes festgehalten, sondern die Parallelen aus der Naturwissenschaft in den 1880er Jahren noch auf den außerrechtlichen Bereich seiner Theorie einer sittlichen Evolution ausgeweitet. Eine grundsätzliche Neuformulierung der Theorie der juristischen Methode unter Einbeziehung seiner seit der methodentheoretischen Wende gewonnenen Einsichten hat Ihering in seiner Spätzeit nicht mehr unternommen. Er ist bei der allgemein gehaltenen Erkenntnis geblieben, dass die naturhistorische Methode ihre Berechtigung hat, aber als ausschließliche Betrachtungsform für das Recht nicht angemessen ist, da über dem einseitigen Standpunkt juristischer Technik die juristische Entscheidung unter Berücksichtigung des „höhern legislativ-politischen und ethischen Standpunkts“ steht.
Insgesamt kann der Verfasser damit durch seine intensive Forschung Jhering als einen besonders originellen und fruchtbaren Juristen des 19. Jahrhunderts bestätigen. Dessen Lebensbilanz bleibt aber gleichwohl zwiespältig. Gegenüber sehr wichtigen, modernisierenden Einzelüberlegungen fehlt die abschließende Zusammenfassung zu einer allgemein überzeugenden, weiterführenden Einheit des Begriffs des Rechtes und der Methode der Rechtswissenschaft bei dem großen, im Übrigen auch seinen wohl weltweit berühmten Kampf um das Recht aus ziemlich einfachen persönlichen Motiven und zudem ohne den erhofften Erfolg führenden Rudolf von Jhering.
Innsbruck Gerhard Köbler