Karlauf, Thomas, Stauffenberg – Porträt eines Attentäters. Blessing, München 2019. 368 S., 1 Ill. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Der Widerstand gegen Adolf Hitlers nationalsozialistische Diktatur zählt zu den Erinnerungssträngen, an welche die demokratische Bundesrepublik Deutschland in ihrer Traditionspflege gerne andockt, hatten doch jene Männer und Frauen bisweilen das Letzte gewagt und auch den eigenen Tod billigend in Kauf gewonnen, um ihrem Gewissen zu folgen, anstatt sich willfährig in die breite Masse der Mitläufer einzureihen. Dass, wie man weiß, dabei keineswegs alle Exponenten des Widerstandes demokratische Ziele im Blick hatten, wird als unbequemer Schönheitsfehler weitgehend in Kauf genommen. Die berechtigte Hochachtung vor ihrer vorbildhaften Konsequenz fördert die Tendenz, sie als moralisch unantastbar auf ein Podest zu heben, sodass sie als reale Menschen oft nur mehr schemenhaft fassbar sind.

 

Zu den ureigenen Aufgaben des Historikers zählt jedoch, jegliche Mythen zu hinterfragen und über quellennahes Darlegen der Prozesse, die eine Persönlichkeit und deren Willensbildung nachweislich geformt haben, zu einer nachvollziehbaren Einschätzung ihrer Motivation zu gelangen. Claus Schenk Graf von Stauffenberg (1907 - 1944), der als schwer Kriegsversehrter am 20. Juli 1944 persönlich den Versuch unternommen hat, Adolf Hitler in seinem Hauptquartier „Wolfsschanze“ in Ostpreußen zu töten und den Boden für einen Regimewechsel zu bereiten, war bereits mehrfach das Objekt biographischer Erkundung. Diesen Lebensbeschreibungen – die wichtigsten stammen aus den Federn von Joachim Kramarz (1965), Christian Müller (1970) und Peter Hoffmann (1992) – hafte aber allesamt der Mangel an, dass sie angeblich „erstaunlich leichtfertig mit der Auswertung und Einordnung entsprechender Dokumente“ umgegangen seien, vor allem Nachkriegsdokumente dazu benutzt hätten, um „Stauffenbergs Leben als einen stufenweisen Läuterungsprozess darzustellen, bei dem es etwa so zuging wie auf der Echternacher Springprozession: zwei vor, eins zurück“ (S. 27).

 

Dagegen versuche der vorliegende Band nach Aussage seines Verfassers Thomas Karlauf gar nicht, „nach einer moralischen Motivation zu fragen, die es in der uns heute selbstverständlich gewordenen, der Schreckensherrschaft des Dritten Reiches angemessenen Form bei Stauffenberg nicht gab“, sondern konzentriere sich „stattdessen auf die militärisch-politische Motivation“. Aus einem solchen Blickwinkel ergebe sich „ein von den bisherigen Darstellungen stark abweichendes Bild“, denn „bis in den Sommer 1942 deckte sich Hitlers Politik weitgehend mit den Vorstellungen und Erwartungen, die Stauffenberg an den durch diese Politik herbeigeführten Aufstieg Deutschlands zur europäischen Vormacht geknüpft hatte“. Erst im dritten Kriegssommer „verdichteten sich für ihn drei Erkenntnisse: dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war, dass er […] auf den Untergang des deutschen Volkes hinauslief und dass er unter verbrecherischen Bedingungen geführt wurde“ (S. 30ff.). Der Schlüssel zum Verständnis der weiteren Entwicklung Stauffenbergs zur entscheidenden Figur des militärischen Widerstandes entspringe drei lebenslang wirkenden Komponenten: der familiären Tradition, dem im deutschen Generalstab perfektionierten Soldatentum und der Ideenwelt des Kreises um den Dichter Stefan George.

 

Das Buch setzt mit einem Prolog ein und berichtet dort über das Ableben Stefan Georges und seine Beisetzung in Minusio im Tessin im Dezember 1933. Drei der sechs Sargträger sind die Brüder Berthold, Alexander und Claus von Stauffenberg, die 1923 zum George-Kreis gestoßen waren. Gemeinsam hatten sich die George-Jünger nun zum Entschluss durchgerungen, einer politischen Vereinnahmung des Dichters durch die nationalsozialistischen Machthaber vorzubauen, wie sie bei einem Begräbnis in Deutschland oder bei der Anwesenheit Offizieller kaum zu verhindern gewesen wäre. An späterer Stelle ist zu lesen: „Die besondere Aura der Stauffenbergs […] hing mit jener diffusen Chiffre vom ‚geheimen Deutschland‘ zusammen, die Mitte der zwanziger Jahre eine auch über den Kreis hinaus wirksame Eigendynamik entfaltete. In kulturlosen finsteren Zeiten, so hatte George in einem langen Gedicht im Ton der späten Hymnen Hölderlins unter dem Titel ‚Geheimes Deutschland‘ postuliert, hänge das Schicksal des Landes von denjenigen ab, die sich vom Getriebe fernhielten. Durch ihr bloßes Dasein legten sie Zeugnis ab von der Gegenwart des Göttlichen in der Welt und begründeten so eine heimliche Überlieferung, aus der eines Tages etwas ganz Neues hervorgehen werde“ (S. 111).

 

Claus von Stauffenbergs Welt sei seit seinem Eintritt 1926 die Reichswehr gewesen, die „nach dem Verständnis ihres Vordenkers und Idols Hans von Seeckt […] den Staat (verkörperte), aber das Heer war zugleich der bessere Staat, jedenfalls stand es für einen anderen Staat als den von Weimar“ (S. 37ff.). Die relative Homogenität des Offizierskorps verhilft Thomas Karlauf zu einer methodischen Krücke, indem sie ihm über den Mangel an zeitnahen Dokumenten zu Stauffenbergs Sozialisation in der Reichwehr hinweghilft und bei aller Problematik zulässt, „die Haltung Stauffenbergs über Analogien und Indizienketten zu erschließen“ (S. 35). Diese Haltung habe, wie gezeigt wird, dem allgemeinen Trend im Offizierskorps entsprochen und lasse lange auch keine Distanz zum Nationalsozialismus erkennen.

 

So habe Claus von Stauffenberg „offenbar auf eigene Initiative […] in vorwiegend nächtlichen Felddienstübungen“ schon ab 1930 SA-Mannschaften militärisch geschult (S. 63). Als sein älterer Bruder, der Jurist Berthold von Stauffenberg, das im Juli 1933 erlassene, sich gegen sogenannte Ostjuden richtende Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der Staatsangehörigkeit mit dem Rechtsgrundsatz der „Reinheit der Nation“ rechtfertigte und die mittelfristigen Konsequenzen für die deutschen Juden einfach ausblendete, musste dieser „von der Richtigkeit des deutschen Standpunktes tief überzeugt gewesen sein“; Claus habe „eine ähnliche Gleichgültigkeit an den Tag (ge)legt [:] Dass die Verstoßung der Juden aus der Wehrmacht gegen den Ehrenkodex eines Offiziers verstieß, kam ihm offenbar gar nicht in den Sinn“ (S. 66). Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund im Oktober 1933 habe er „freudig bejaht“ (S. 78), und als Hitler 1936 das entmilitarisierte Rheinland besetzen ließ, sei es wiederum der Bruder Berthold gewesen, der mit Verweis auf den französisch-russischen Beistandspakt einen Bruch des Locarno-Vertrags von 1925 verneint und die entsprechende juristische Begründung für den Gewaltakt geliefert habe. Die vom Chef des Generalstabs des Heeres, Ludwig Beck, am Sitz der Heeresleitung in der Berliner Bendlerstraße massiv vorangetriebene Aufrüstung habe man uneingeschränkt begrüßt, war doch während Claus‘ nunmehr zehnjähriger Dienstzeit „aus einer kleinen Berufsarmee mit sieben Infanteriedivisionen, die weitgehend ohne schwere Waffen auskommen mussten und deren vorrangige Aufgabe es war, Unruhen im Innern zu unterbinden, ‚eine zur strategischen Abwehr befähigte Armee als Instrument einer aktiven Großmachtpolitik in Europa‘ geworden“ (S. 89). Als Hitler nach der Blomberg-Fritsch-Krise 1938 selbst den Oberbefehl über die Wehrmacht an sich zog und auch Beck zurücktrat, formierte sich zwar eine militärische Opposition gegen die Kriegspläne Hitlers, aber zu dieser „unterhielt Stauffenberg keinerlei Verbindung, er kannte niemanden, der über die Hintergründe der Machtkämpfe informiert war. […] Involviert wird Stauffenberg erst fünf Jahre später: Im Spätsommer 1943 lernt er kurz hintereinander Carl Goerdeler und Ludwig Beck kennen“ (S. 157). Längerfristig wirksame strukturelle Defizite des deutschen Widerstandes erblickt der Verfasser in den unterschiedlichen Interessen seiner Akteure sowie in den Erfolgen, die Hitler verbuchen konnte und die ihn nur schwer angreifbar machten.

 

Während des Polenfeldzuges, in dem er als Zweiter Generalstabsoffizier (Ib) einer Division mit Quartiermeisteraufgaben betraut war, äußerte Claus von Stauffenberg noch „pauschale( ) Verachtung für die polnische Zivilbevölkerung“, wobei „jahrhundertealte deutsche Vorurteile und rassenideologische Stereotype […] ungefiltert ineinanderflossen“ (S.160). Aus Frankreich berichtete er seiner Frau dann begeistert vom „unerhörte(n) Vormarsch“ (S. 177), bis er mit 1. Juni 1940 von der Front in die Operationsabteilung des Generalstabs des Heeres berufen wird. Im Zuge des Überfalls auf die Sowjetunion, dem die Winterkrise der Wehrmacht 1941/1942 mit der persönlichen Übernahme des Oberbefehls über das Heer durch Hitler folgte, war Stauffenberg mit der Aushebung sogenannter Hilfswilliger beschäftigt. Über die völkerrechtswidrigen Erlasse (Kriegsgerichtsbarkeitserlass, Kommissarbefehl, Bestimmungen über das Kriegsgefangenenwesen) und ihre Folgen „scheint [er] früh im Bilde gewesen zu sein“ und auch „Kenntnis von den ‚Ereignismeldungen‘ erhalten zu haben, in denen die Einsatzgruppen die Zahlen der […] getöteten Juden nach Berlin rapportierten“ (S. 205).

 

In einem Gespräch mit einem Major Kuhn im August 1942 – noch vor der Niederlage von Stalingrad – habe Stauffenberg erstmalig nachweislich gravierende Bedenken geäußert und den geführten Krieg als „sinnloses Verbrechen“ bezeichnet, dessen letzte Ursache „in der Person des Führers“ und im Nationalsozialismus liege und der den Generalstab fordere, auch politische Verantwortung zu übernehmen – durch, wie es später hieß, „Errichtung einer, allerdings vorübergehenden Militärdiktatur“ (S. 209f.). Dieses politische Verständnis der Rolle des Generalstabsoffiziers knüpfte unausgesprochen an die Tradition der großen preußischen Militärreformer Scharnhorst, Gneisenau – der Zweitgenannte war ein direkter Vorfahre der Stauffenbergs – und Clausewitz an. Typisch für die gesamte Militäropposition gegen Hitler sei gewesen, dass sie „aus Verantwortung handelte, nicht aus Gesinnung. Nicht das Entsetzen über die Verbrechen des Nationalsozialismus, sondern die Entschlossenheit, den Krieg möglichst rasch zu einem für Deutschland einigermaßen glimpflichen Ende zu bringen, gab ihrem Denken die Richtung“ (S. 226). Nach einem mit einer schweren Verwundung endenden Fronteinsatz in Afrika wurde Claus von Stauffenberg schließlich als Chef des Stabes zu General Friedrich Olbricht in das Allgemeine Heeresamt (AHA) – das Zentrum des militärischen Widerstandes gegen Hitler – kommandiert. Es bestehe „kein Zweifel“, dass er Mitte August 1943 „von Olbricht und Tresckow in die Konspiration eingeweiht und über den Stand der Staatsstreichplanungen unterrichtet wurde“ (S. 245).

 

In der Folge erörtert der Verfasser auch die Kontakte zwischen dem militärischen und dem zivilen Widerstand sowie persönliche Sympathien und Antipathien. Stauffenberg sei Carl Goerdeler und Helmuth James von Moltke wenig zugetan gewesen, den Sozialdemokraten Julius Leber habe er hingegen sehr geschätzt, und Fritz-Dietlof von der Schulenburg, Adam von Trott zu Solz sowie Albrecht Mertz von Quirnheim hätten zu seinen engsten Vertrauten gezählt. Den Ereignissen des 20. Juli 1944 gingen mehrere Anschlagsversuche auf Hitler voraus, die teils am Zufall, häufiger jedoch an der Zögerlichkeit der ausführenden Akteure scheiterten.

 

Was Claus von Stauffenberg von seinen Mitverschwörern letztendlich unterschieden habe, sei sein Mut zum entschiedenen Handeln gewesen: „Was geht in einem Menschen vor, der nach monatelangen sorgfältigen Planungen eines Komplotts im Moment der Ausführung feststellt, dass denen, mit denen gemeinsam er auf diesen Tag hingearbeitet hat, die Nerven versagen?“ (S. 290). Im Vollzug der Tat habe Claus das Credo seines Meisters Stefan George realisiert, und im elitären „Eid“, ihrem persönlichen politischen Testament, hätten die Brüder Stauffenberg ganz in dessen Sinn formuliert: „Wir bekennen uns im Geist und in der Tat zu den grossen Überlieferungen unseres Volkes, das durch die Verschmelzung hellenischer und christlicher Ursprünge im germanischen Wesen das abendländische Menschentum schuf“. Dieser besonderen Konstellation verdanke der Deutsche „die Kräfte, die ihn berufen, die Gemeinschaft der abendländischen Völker zu schönerem Leben zu führen“ (S. 298). Diese Gedankengänge liegen weitab von demokratischen Idealen, und am Bedürfnis und der Bereitschaft der „abendländischen Völker“, sich freiwillig einer kulturellen Hegemonie Deutschlands unterzuordnen, sind grundsätzliche Zweifel angebracht.

 

Bei den Zeitgenossen habe das Attentat im Übrigen kaum positive Resonanz hervorgerufen: „Quer durch alle Schichten stieß der Anschlag auf Unverständnis“, und im Offizierskorps wertete man ihn „vor allem als Angriff auf den eigenen Stand“ (S. 317). So sei denn auch der Putschversuch am Ende „nicht an entschiedener Gegenwehr des Regimes, sondern am Widerstand aus den eigenen Reihen“ gescheitert (S. 319). Stauffenbergs letzte Worte anlässlich seiner Erschießung „Es lebe das geheiligte Deutschland!“ seien nach dem Urteil des Verfassers „mit Sicherheit nicht Chiffre für ein politisches Programm“ gewesen, sondern die „Beschwörung der Welt, aus der er kam“ (S. 320). Ob sein Ausruf vielleicht gar „Es lebe das geheime Deutschland!“ gelautet haben könnte, sei unter Berücksichtigung des bedeutenden Einflusses der Ideenwelt Stefan Georges zumindest eine reizvolle Spekulation (vgl. S. 349, Anm. 26). Gegen die von der Forschung herausgearbeitete Schwachstelle der gesamten Anschlagsplanung, die Doppelfunktion Stauffenbergs als Ausführender des Attentats und als Organisator des Staatsstreichs, wird man kaum tragfähige Argumente ins Feld führen können. Wer allerdings, schulmeisterlich moralisierend, Claus von Stauffenberg ankreidet, dass er nicht auch die zweite Sprengstoffpackung eingesetzt und neben Hitler weitere Opfer in Kauf genommen, selbst aber den Ort des Anschlags rechtzeitig verlassen hat, geht an der Lebensrealität vorbei. Er verkennt vor allem den enormen psychischen Stress, mit dem die Durchführung einer solchen Tat zwangsläufig verbunden ist und der Fehler in der Ausführung begünstigt, die praktische Unmöglichkeit für einen Mann in Stauffenbergs nachgeordneter Position, Hitler unter vier Augen zu treffen und dabei ohne Kollateralschaden zu beseitigen, sowie die Tatsache, dass der Attentäter zu diesem Zeitpunkt bereits als vierfacher Familienvater Verantwortung getragen hat und somit einen suizidalen Opfergang schon aus guten persönlichen Gründen nicht angestrebt haben dürfte.

 

Die mit einem Literaturverzeichnis, einem Personenregister und einer nützlichen Zeittafel, die auf knappen vier Seiten die Chronologie des Lebensweges des Claus von Stauffenberg in das politische und militärische Zeitgeschehen einbindet, ausgestattete Arbeit entwirft ein gut lesbares, lebensnahes und sich moralisierender Argumentation weitgehend enthaltendes Bild von der Rolle des Protagonisten im Kontext des militärischen und zivilen Widerstandes gegen Hitler. Allerdings trug der in seiner Rolle im Widerstand umstrittene Reichskriminaldirektor Nebe den Vornamen Arthur und nicht, wie behauptet und offenbar aus einer Verwechslung mit seinem Vorgesetzten Heydrich hergeleitet, Reinhard (vgl. S. 150 u. Personenregister S. 365). Sehr viel Raum wird der Darstellung der elitären Gedankenwelt Stefan Georges – für Thomas Karlauf Keimzelle und Triebfeder für Stauffenbergs Tat – und der Zusammensetzung und Organisation des Kreises seiner Jünger eingeräumt, wobei auch deren Bemühungen gezeigt werden, mittels selektiver Edition das Vermächtnis ihres Meisters von Zeugnissen offenkundiger Homosexualität zu befreien. Diese starke Präsenz und Betonung des Einflusses Georges mag nicht zuletzt auch mit dem Umstand zu tun haben, dass der beruflich im Literaturbetrieb verankerte Verfasser 2007 eine Biographie dieses Dichters veröffentlicht hat.

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic