Hoefling, Sebastian, Vom Tropfen sozialen Öls zum Hebel des Fortschritts. Die Entstehung der Arbeitsrechtswissenschaft und ihre Entwicklung in den zwei deutschen Diktaturen im Spiegel der Promotionen der Berliner Universität Unter den Linden (= Berliner juristische Universitätsschriften – Grundlagen des Rechts 54). Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2015. XXVII, 585 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Von seiner Entstehung an musste sich der erste Mensch um die Sicherung seines Lebens nach Kräften bemühen und zwar gewissermaßen in dem Schweiße seines Angesichts und vielleicht in gewisser Weise abgesichert durch das von ihm aufgesuchte örtliche und das ihn zeitweise umsorgende menschliche Umfeld. Daran hat sich seit diesen ersten Anfängen vor allem geändert, dass die Zahl der Menschen auf der Erde sehr stark gestiegen ist und dass der Verstand des Menschen eine Unterscheidung zwischen Neues versuchenden und nur Altes anwendenden Einzelnen bewirkt hat. Seitdem ist in ziemlich unterschiedlichen Formen die Tätigkeit des einen in Abhängigkeit von dem Willen eines anderen entstanden, die seit der Industrialisierung zu einer Gegenüberstellung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern geführt hat, die der Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1900 nur durch einen Tropfen sozialen Öles, dessen Kosten über den Preis letztlich der Verbraucher zu tragen hat, abmildern wollte und konnte.
Mit einem Teilbereich dieser grundlegenden und anhaltenden Problematik beschäftigt sich die vorliegende, von Rainer Schröder betreute und in dem Wintersemester 2013/2014 von der juristischen Fakultät der Humboldt-Universität in Berlin angenommene Dissertation des 2008 die erste juristische Staatsprüfung und 2010 die zweite juristische Staatsprüfung in Berlin bestehenden, seit 2011 als Rechtsanwalt in Berlin zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter und seit 2013 als Rechtsanwalt bei Taylor Wessing vor allem in dem Gesellschaftsrecht und dem Konzernrecht tätigen Verfassers. Sie gliedert sich in drei chronologisch geordnete Teile mit vier, sechs und sechs Kapiteln. Sie beginnt mit der Entstehung des Arbeitsrechts als eigene Rechtsdisziplin und endet mit den arbeitsrechtlichen Promotionen in der früheren Deutschen Demokratischen Republik.
Konkreter Gegenstand der Untersuchung sind die in dem ziemlich klein gesetzten Anhang chronologisch verzeichneten 81 arbeitsrechtlichen Dissertationen an der 1920 den deutschlandweit ersten Lehrstuhl für Arbeitsrecht einrichtenden Universität Berlin zwischen dem 3. 8. 1921 (Katz, Hanna, Lücken im Arbeitsvertrage) und 1. 10. 1990 (Jenitschek, Theobald, Die vom Arbeitsrecht geregelte soziale Sicherheit und ihr Einfluss auf das Leistungsverhalten der Werktätigen durch die Gestaltung von Arbeitsbedingungen). In dem Mittelpunkt steht dabei die Frage, inwieweit zwischen 1933 und 1945 einerseits und zwischen 1949 und 1990 andererseits die Entfaltung einer freien Wissenschaft möglich war. In seinem ansprechenden Ergebnis sieht der Verfasser das Arbeitsrecht in den zwölf Jahren der nationalsozialistischen Diktatur als Instrument der Indoktrination und Versklavung weiter Bevölkerungskreise und in dem sozialistisch beherrschten Teil Deutschlands als Mittel der Organisation des Wirtschaftsfaktors Arbeit und der ideologischen Beeinflussung der Bevölkerung, wobei von 1958 an eine streng ideologisch orientierte gesellschaftswissenschaftliche Ausrichtung durchgesetzt wurde, so dass in der Folge fast durchgängig stark ideologisch geprägte Texte produziert wurden, die sich maßgeblich an den Parteivorgaben orientierten und kein Streben nach unvoreingenommenen Erkenntnisgewinn erkennen lassen.
Dementsprechend war die Fakultät nach den vielfältigen Erkenntnissen des Verfassers während der nationalsozialistischen wie der sozialistischen Herrschaft kein Ort kritischer Auseinandersetzung mit dem bestehenden Recht. Sie setzte vielmehr die politischen Vorgaben weitgehend ergeben um. Damit stützte sie das jeweils herrschende System, weshalb der Verfasser sich an dem Ende zu Gunsten der Zukunft entschieden für eine grundlagenorientierte, kritische Juristenausbildung ausspricht.
Innsbruck Gerhard Köbler