Heinemann, Isabel, Wert der Familie. Ehescheidung, Frauenarbeit und Reproduktion in den USA des 20. Jahrhunderts (= Family Values and Social Change 3). De Gruyter Oldenburg, Berlin 2018. XIII, 534 S. Angezeigt von Gerhard Köbler. ZIER 9 (2019) 09. IT

 

Wie viele andere Lebewesen bedarf der Mensch zu der Erhaltung seiner Art des von der Natur geförderten Zusammenwirkens der aus unbekanntem Grund entstandenen Geschlechter. Er ist von daher vor allem ein soziales Wesen, das aber sowohl das Bedürfnis nach Gemeinsamkeit wie auch das Sein als Individuum kennt und schätzt. Ab wann, wo und wie dabei die Familie entstanden ist und sich durchgesetzt hat, lässt sich kaum eindeutig klären, da bei den anderen Lebewesen sich in der Wirklichkeit sowohl die dauerhaften Partnerschaften wie auch die ständig wechselnden Beziehungen mit Vorrang der männlichen Individuen wie auch mit besonderer Bedeutung der weiblichen Individuen möglich sind.

 

Mit einem besonderen Teilaspekt der ursprünglich wohl überwiegend patriarchalisch strukturierten menschlichen Verwandtengruppen beschäftigte sich seit längerer Zeit die vorliegende Untersuchung der in Simmern in dem Hunsrück 1971 geborenen, ab 1991 in neuerer und neuester Geschichte, mittelalterlichen Geschichte und Germanistik in Mainz, Dijon und Freiburg im Breisgau ausgebildeten, als wissenschaftliche Mitarbeiterin Ulrich Herberts tätigen, 2001 mit einer  Dissertation über Rasse, Siedlung, deutsches Blut – Das Siedlungshauptamt der SS und die nationalsozialistische Rassenpolitik im besetzten Europa 1939-1945 promovierten, danach die Nachwuchsgruppe Familienwerte im gesellschaftlichen Wandel in dem Emmy-Noether-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Münster leitenden, seit 2009 als Juniorprofessorin für neuere und neueste Geschichte ebendort tätigen und danach in Trier habilitierten Verfasserin. Sie gliedert sich nach einer Einleitung über Familienwerte im gesellschaftlichen Wandel in sechs Kapitel. Sie betreffen die Debatten um die Ehescheidung zwischen 1890 und 1920, die Debatten um eugenische Familienkonzepte und das Eingriffsrecht des Staates in den 1920er und 1930er Jahren, Debatten und Diskurse über Frauenarbeit und Mutterschaft 1940 bis 1970, die Grenzen des Familienideals der White Middle Class und die Debatte um Struktur und Werte der afroamerikanischen Familie in den 1960er Jahren, Abtreibung, Reproduktion und die Rolle der Frau in Familie und Gesellschaft der 1970er und 1980er Jahre und die Debatten um die US-Familie in den 1980er Jahren.

In den betrachteten hundert Jahren haben sich die tatsächlichen familiären Beziehungen vor allem in den westlichen Industrieländern erheblich geändert, indem die weitgehende Gleichberechtigung verwirklicht und die Empfängnisverhütung kommerziell umgesetzt wurde. Gleichwohl kommt die Verfasserin auf Grund ihrer Forschungen auf breiter Literaturgrundlage zu dem beeindruckenden Ergebnis, dass das Ideal der Kernfamilie der weißen Mittelschicht konstant die allmählich auch von anderen Bevölkerungsgruppen übernommene nationale Norm und der diskursive Referenzrahmen blieb. Dementsprechend gab es nach der Verfasserin den einen Wertewandel der Familie in den Vereinigten Staaten von Amerika in dem 20. Jahrhundert nicht, sondern nur verschiedene kleine Wellen oder Prozesse von Normwandel und Einstellungswandel vor dem Hintergrund des Konzepts der Kernfamilie.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler