Hauschild, Jan-Christoph, Das Phantom. Die fünf Leben des B. Traven. Edition Tiamat - Klaus Bittermann, Berlin 2018. 315 S. Besprochen von Albrecht Götz von Olenhusen.

 

An Rätseln und Legenden, die sich in den Jahrzehnten seit dem Verschwinden des Ret Marut aus München nach 1918/1919 zu einem Mythos verdichteten, ist die Biographie des unter dem Namen B. Traven weltweit bekannt gewordenen Schriftstellers so reich wie kaum eine andere. In ihr finden sich auch bemerkenswerte Aspekte, die das Werk und dessen weltweite Verbreitung auch für den Urheberrechtler und Rechtshistoriker zu einem aufschlussreichen Exempel machen.

 

In den zwanziger Jahren nahmen unter anderen Erich Mühsam und Oskar Maria Graf – beide hatten ihn an seinem Stil erkannt – an, dass der Verfasser des „Totenschiffs“ und anderer Romane mit dem Autor und Inhaber des „Ziegelbrenner“, einer während des Ersten Weltkriegs erscheinenden radikal oppositionellen Zeitschrift identisch sei. Als Zensor der Presse – mit dem für einen Anarchisten bizarren Ziel, sie zu verstaatlichen - hatte er während der Münchner Revolutionswirren gewirkt, war nach Ende der eisnerschen Regierung untergetaucht. Mit Haftbefehl gesucht, konnte er sich im nahen Ausland, in Berlin und bei Köln bei Gesinnungsgenossen geschickt verborgen halten. Auf bisher noch weitgehend ungeklärten Wegen gelingt ihm von London aus die Ausreise nach Mexiko. Und hier verwandelt sich der bislang als Schauspieler, drittklassiger Autor und individualanarchistischer Publizist weniger hervorgetretene als vielmehr fast pathologisch im Verborgenen sich haltende Publizist in einen veritablen, immer mehr anerkannten Schriftsteller und wird alsbald zu einem weltweites Aufsehen erregenden und hohe Anerkennung gewinnenden Bestseller-Autor. Seine Vita wird über Jahrzehnte hinweg Literaturhistoriker, Historiker und auf Sensationen erpichte Journalisten und vor allem investigativ und penetrant arbeitende Protagonisten dieses Gewerbes wie auch hochrangige Biographen bei der schier endlosen Suche nach dem unter so vielen Pseudonymen sich in Mexiko neu etablierenden Einsiedler faszinieren. Mit den Jahren entwickelt sich nicht nur eine Gruppe von „Travenologen“, sondern auch eine Vielfalt von heftigen Kontroversen. Zu den grassierenden Legenden hat Traven selbst reichlich beigetragen, nicht zuletzt durch die von ihm weitgehend persönlich geschriebenen, nach dem Zweiten Weltkrieg in Zürich edierten B.Traven-Mitteilungen, durch von ihm selbst initiierte Lebensläufe und Gerüchte, durch Auftritte als Rollenspieler als sein eigener Agent unter dem Namen Hal Croves und durch die entschiedene Weigerung, die fast undurchdringlichen Schleier, die seinen frühen und gegenwärtigen Lebensweg verhüllten, auch nur ansatzweise zu lüften.

 

Was seine Biographie und sein Werk für das Urheberrecht und die Rechtshistorie besonders interessant erscheinen lässt, sind die mit der Schaffung und Verbreitung verbundenen, zahlreichen rechtlichen Probleme des nationalen und internationalen Urheberrechts und Verlagsrechts. Sie haben aufs engste mit der ins geheimnisvolle Dunkel gehüllten Existenz des Schriftstellers zu tun. Traven hat sein Credo mehrfach formuliert: „Von einem Arbeiter, der geistige Werke schafft, sollte man nie einen Lebenslauf verlangen. Es ist unhöflich. Man verführt ihn zum Lüge. … Aber mein Lebenslauf ist meine Privatangelegenheit, die ich für mich behalten möchte. Nicht aus Egoismus. Vielmehr aus dem Wunsche heraus, in meiner eigenen Sache mein eigener Richter zu sei … Die Biographie eines schöpferischen Menschen ist ganz und gar unwichtig. Wenn der Mensch in seinen Werken nicht zu erkennen ist, dann ist entweder der Mensch nichts wert oder seine Werke sind nichts wert.“ Nur in seinen Werken solle der Autor sich, seine Persönlichkeit und sein Leben der Kritik aussetzen. (B. Traven 1926 an Johannes Schönherr, zitiert nach Literaten an die Wand, hg. v. Viesel, Hans Jörg, 1980, S. 531).

 

Es ist diese an das Skurril-solipsistische grenzende Haltung, die sich in seinem motivisch schwer zu enträtselnden Wandlungen vom Arbeiter und Gewerkschaftler Hermann Otto Feige aus Schwiebus – heute zu Polen gehörig - zum angeblich aus San Francisco stammenden Schauspieler Ret Marut, zum Autor Richard Maurhut, zum Schriftsteller B. Traven und B. Traven Torsvan und in der unscheinbaren Gestalt seines eigenen Filmagenten Hal Croves widerspiegelt. Wenn aus der persönlichen Not, aus der egomanischen Neigung zur Anonymität oder auch bloßen Marotte ein bewusst eingesetztes werbewirksames Moment wird, dann offenbart sich der widersprüchliche Charakter eines Mannes, der Geheimnis und Pathos der Anonymität als sein Markenzeichen zu nutzen weiß (Zeilinger, Johannes, Ich ist ein Anderer. In: Der Feuerstuhl, hg. v. Barrientos, S./Krampitz, K., 2019, S. 41ff., 47).

 

Die vieldiskutierte Genese mancher Werke, ihre Nutzung durch die Büchergilde Gutenberg, die legalen und illegalen Drucke und Nachdrucke liefern zahlreiche Beispiele für Plagiate und Plagiate von Plagiaten, für die verlagsgeschichtlich und verlagsrechtlich aufschlussreichen wie verwirrenden Nutzungen von Vorlagen, Originalen und Übersetzungen. Der peinlich auf Anonymität pochende Autor, der sich ungeniert auch fremder Werke und Stoffe bedient, legt äußerst genauen Wert auf den Schutz des Urheberrechts und die präzise Einhaltung von Copyright-Vermerken. So wie die für das spezifische, fast einzigartige Urheber-Verleger-Verhältnis charakteristischen Probleme der Zensur, der Zensur und Selbstzensur, der verlegerisch erwünschten Bearbeitungen, der Diskussion etwaiger politischer Rücksichtnahmen manifestieren sich der diffizile Umgang mit der Diskretion in Sachen Herkunft und Biographie in zahlreichen internen Auseinandersetzungen. Schließlich kulminiert die Problematik in den Konflikten um das Schicksal der Büchergilde in dem nationalsozialistischen Deutschland und ihrer prekäreren Weiterexistenz als Exil-Verlag in der Schweiz. Hauschild liefert auch implizit und explizit zahlreiche Beispiele, wie der Bestsellerautor im Geflecht des internationalen lückenhaften Urheberrechts in Argentinien und Mexiko Opfer von Nachdrucken und unautorisierten Übersetzungen wird.

 

Das Enigma Traven und die Rätsel um sein Inkognito haben ihre Schattenseiten. Im Dunkel des persönlichen Hintergrunds und der Diskussionen um seine staatliche, womöglich deutsche, amerikanische oder nordeuropäische Herkunft versammeln sich Autoren, die parasitären Anspruch auf die plötzlich so wertvolle Identität erheben. Travens Erfolg bietet zahllose Beispiele für die fragilen Aspekte des Schutzes anonymer und pseudonymer Schriftsteller. Mit der Übertragung der Nutzungsrechte auf Übersetzerin und Freundin stabilisiert sich der Erfolg der weltweiten Verwertung in rund 24 Sprachen.

 

Das durch die erfolgreichen Verfilmungen noch angeheizte Millionenpublikum ruft investigative Journalisten auf den Plan. Traven wird Teil eines Gestrüpps von Information und Desinformation, letztere nicht zuletzt durch den mystery man selbst ins Feld der Identitätshypothesen geworfen. Unter den Biographen ragen in der Deutschen Demokratischen Republik der „TravenologeRolf Recknagel und mit seinem monumentalen Werk der deutsch-amerikanische Harvard-Gelehrte Karl S. Guthke hervor. Zu den Vertretern der Sensationspresse zählt der STERN-Reporter Gerd Heidemann. Seinen dubiosen Recherchen verdankt sich schließlich die These von der Identität Travens mit einem gewissen August Bibeljé. Es sind solche durch zweifelhafteste Dokumente und Interviews genährte Thesen, die in der Erlebnisträger-Theorie das schöpferische Genie Travens mehr als in Zweifel zu ziehen suchten. Damit werden die Lebensgeschichte und die Werkgeschichte Travens ein Beispiel dafür, wie der Autor der heute in mehr als 35 Millionen Exemplaren verbreiteten Werke durch seine eigenen erfolgreichen Strategien, sein Inkognito zu wahren, die Früchte seines Schaffens zu ernten selbst gefährdet.

 

Der Germanist und Publizist Jan-Christoph Hauschild legt mit seiner Biographie ein Werk vor, mit der er seine exzeptionelle und innovative Studie „B. Traven – Die unbekannten Jahre“ (2012) exzellent erweitert und fortschreibt. Hatten vor ihm schon zahlreiche Forschungen die Identität Travens mit Ret Marut, auch mit Traven Torsvan und Hal Croves erhärtet, so gelang es erst Hauschild, die Kryptomanie des obsessiven Virtuosen des Verschwindens zu entschlüsseln. Er konnte bei den bahnbrechenden Forschungen des BBC-Autors Will Wyatt (The Man Who Was B. Traven, 1980) ansetzen.

 

Während Karl S. Guthke in seiner großartigen quellenreichen Biographie von 1987 die Identität Maruts mit dem in London in Haft geratenen Schwiebuser Feige dennoch weiterhin in Zweifel ziehen wird (was seinerseits auch Rätsel aufgibt) und eine Reihe von Travenforschern Wyatts ermittelte deutsche Familienangehörige, deren Aussagen und Belege als nicht hinreichend betrachteten, weist Hauschild 2012 und erneut in seiner jetzigen Biographie minutiös nach: der in Schwiebus 1882 geborene Maschinenschlosser Hermann Otto Feige arbeitet nach der Jahrhundertwende nach seiner abrupten Trennung von seiner Familie, jetzt im niedersächsischen Wallensen daheim, im gewerkschaftlichen Milieu. Der radikale Bruch mit dem hier scheinbar vorgezeichneten Lebenslauf vollzieht sich, als der mit kulturellen und literarischen Neigungen hervorgetretene Arbeiter und Gewerkschaftsfunktionär zum Schauspieler mutiert.

 

Bei der Suche nach Motiven zu den obskuren Wechseln der Identität ist man gewiss weiterhin auf Spekulationen angewiesen. Das nährt die Fortexistenz von Zweiflern. So wird in einem jüngsten Sammelband durch Frank Nordhausen in einem längeren polemischen Essay die Kontroverse um die sog. Otto-Feige-Hypothese ohne neues Material und überzeugende Argumente aufgefrischt (Nordhausen, Frank, Das ungelöst-gelöste Rätsel. In: Der Feuerstuhl, S. 63-82). Hauschild hat jedoch den Werdegang namentlich der bis dato unbekannten Jahre zwischen 1882 und 1915 im Gesamtzusammenhang archivalisch unwiderleglich belegt und so präzise nachgezeichnet, dass die Identität als Schauspieler unter dem neuen Namen Ret Marut mit dem früheren Schlosser und Gewerkschaftssekretär Feige sich nicht mehr bezweifeln lässt. Seine archivalischen Belege, von den ideologisch-künstlerischen nicht zu reden, waren auch en detail in einer exzellenten Ausstellung des Düsseldorfer Heine-Instituts zu besichtigen.

 

Bis 1915 sind die sich an Otto Feiges Dahinschwinden bruchlos anschließenden Marut’schen Bühnen-Engagements im Osten Deutschlands bis hin zum renommierten Düsseldorfer Theater nachgewiesen. Mag mancher auch die psychologischen Rätsel dieser ungewöhnlichen Metamorphosen als ungelöst betrachten - die Konstanten dieses solitären Charakters und seiner humanitären Haltungen müssten, wenn schon nicht die historischen Befunde, auch bislang unentwegt Andersgläubige überzeugen.

 

Über eine Zwischenstation in Frankfurt folgt seit 1917 die neue Existenz als Herausgeber des „Ziegelbrenners“ in München. Die mannigfaltigen, keineswegs nur bedeutungslosen Rollentätigkeiten und Regisseurtätigkeiten hatte der Verfasser schon in seiner Pilotstudie von 2012 so schlüssig nachgewiesen wie er die freilich noch unbeholfeneren Anfänge der Existenz als Schriftsteller und Editor ermittelte und aufwies. Dass Feige=Marut seine Lebensumstände vermutlich auch seinen frühen Lebensgefährtinnen, Elfriede Zielke und Irene Mermet, geflissentlich geheim zu halten suchte, findet interessanterweise seine Fortsetzung in den persönlichen Beziehungen zum exklusiven Kreis der auch politisch einflussreichen Freundinnen und Freunde in Mexiko.

 

Nach der Münchener Revolution und nach seinem Untertauchen im Nachkriegsdeutschland und nahem Ausland wird seine neue Existenz - immer mit dubioser amerikanischer Provenienz - vorerst nur vage sichtbar. Erst mit seiner Haft 1923 in London wird erstmals die urkundliche Identität mit dem Schwiebuser Feige bestätigt. Wyatts urkundlicher Durchbruch mit amerikanisch-britischer Quellenbasis und dann Hauschilds präzise belegte, weiter und tiefer gehende historische Studie haben auch die letzten Zweifel beseitigt.

 

 Traven ließ, so eine der zahlreichen selbstironischen Pointen von Existenz und Werk, sein alter ego Hal Croves in seinen späten Jahren sogar über sich selbst sagen: „Ich frage mich, warum T. nie daran gedacht hat, seine Memoiren zu schreiben. Aber er wäre nicht T., wenn er es jemals tun würde.“

 

Düsseldorf                                                     Albrecht Götz von Olenhusen