Haack, Stefan, Theorie des öffentlichen Rechts II. Was bleibt von der Unterscheidung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht? Mohr Siebeck, Tübingen 2019. IX, 91 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Theoretisch hat der Mensch das Recht mit einem ersten Satz eröffnet, nach dem in der Praxis unüberschaubar viele weitere Rechtssätze geschaffen und anerkannt worden sind, die das Zusammenleben vieler Menschen durch zahlreiche Wege bestimmen und durch mindestens ebenso viele Gebote und Verbote begrenzen. Diese stark zunehmende Fülle von Regeln hat in dem Laufe der Geschichte bewirkt, dass besondere Rechtskundige hervorgetreten sind, die das Recht besser kennen und verstehen als andere, in diesem besonderen Bereich weniger sachkundige Mitmenschen. Darüber hinaus hat sich die Notwendigkeit ergeben, angesichts der ungeheueren Fülle des Stoffes einzelne Bereiche von anderen abzugrenzen, wie dies aus dem Altertum bereits für das römische Recht gut bekannt ist.
Mit einem gegenwärtigen Teilaspekt dieser Problematik beschäftigt sich die vorliegende schlanke Untersuchung des 1975 geborenen, ab 1994 in Leipzig in der Rechtswissenschaft ausgebildeten, 2001 mit einer Dissertation über widersprüchliche Regelungskonzeptionen im Bundesstaat promovierten, 2007 mit einer Schrift über den Verlust der Staatlichkeit habilitierten, seit 2009 als Universitätsprofessor für öffentliches Recht in Bonn wirkenden, 2015 auf den Lehrstuhl für öffentliches Recht, insbesondere Staatsrecht, in Frankfurt an der Oder wirkenden Verfassers, der bereits 2017 eine erste eigene Schrift über die Theorie des öffentlichen Rechts veröffentlichte. Die darauf aufbauende jetzige Untersuchung gliedert sich in drei Kapitel. Diese betreffen die rechtstheoretischen Ausgangspunkte mit dem Bedürfnis, die Dogmatik des öffentlichen Rechts mittels rechtstheoretischer Reflexionen besser als bislang zu fundieren, wobei der Verfasser das subjektive Recht und die bestrittene Rechtsbehauptung, den Sonderrechtscharakter aller rechtlichen Normen und Normativität und Recht in dem hoheitlichen Gewaltverhältnis unterscheidet, die rechtshistorischen Scheidemomente und die rechtsdogmatischen Korrekturen.
Als rechtshistorische Scheidemomente betrachtet der Verfasser dabei I. Die Entstehung des Staates als Vorrang der Dejuridifizierung seit dem mittelalterlichen Lehnswesen, II. Die Ausschaltung der Zivilgerichte in den Angelegenheiten der öffentlichen Verwaltung während des 18. und des 19. Jahrhunderts, (3.?) die Fiskustheorie als Indikator für die mangelnde Verrechtlichung der Staat-Bürger-Beziehung, IV. Das Verständnis vom öffentlichen Recht und dessen Beziehungen zum Privatrecht im totalitären System bzw. in totalitären Systemen und V. das Verständnis vom öffentlichen Recht und dessen Beziehungen zum Privatrecht im demokratischen Rechtsstaat. Auf dieser systematisch angreifbaren Grundlage geht er von der Konzentration auf den Hoheitsträger als Rechtssubjekt und dessen Verpflichtung und Berechtigung ‚als ein solcher‘ als richtigem Kern der Sonderrechtstheorie aus. In dem Rechtsstaat der Gegenwart bezieht er den Unterschied zwischen öffentlichem Recht und privatem Recht auf eine rechtstechnische Frage, die für eine rechtsdogmatisch stichhaltige Zuordnung unterschiedlicher Anspruchsgrundlagen und eine Abgrenzung von Rechtswegen bedeutsam ist, so dass nach seiner Ansicht die Theorie des öffentlichen Rechts und des privaten Rechtes in eine Apologie des Justizstaats mündet und nicht alles, was in der Vergangenheit als öffentliches Recht eingestuft wurde, nach seiner reflektierten Betrachtung tatsächlich öffentliches Recht ist.
Innsbruck Gerhard Köbler