Gies, Horst, Richard Walther Darré. Der „Reichsbauernführer“, die nationalsozialistische „Blut und Boden“-Ideologie und Hitlers Machteroberung. Böhlau, Wien 2019. 746 S., Abb. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Als Adolf Hitler sich auf der Suche nach günstigen Lebenschancen um 1919 entschloss, Politiker zu werden, hatte sich die Zusammensetzung der Bevölkerung des Deutschen Reiches zwar infolge der Industrialisierung bereits erheblich verändert, doch waren die Bauern mit einem Anteil von rund einem Drittel nach wie vor eine sehr wichtige Bevölkerungsgruppe. Die Gewinnung ihrer Wählerstimmen war dementsprechend sehr bedeutsam, so dass für Hitler auf die Interessen der Bauern großes Gewicht zu legen war. Dazu bedurfte es einer entsprechenden Berücksichtigung in dem Parteiprogramm der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, in deren Namen die Bauern als solche nicht vertreten waren, und einer geeigneten persönlichen Kanalisierung beispielsweise in der Form eines Reichsbauernführers.
Mit dem in Belgrano in Buenos Aires in Argentinien an dem 14. Juli 1895 als Sohn eines Kaufmanns und Handelshausleiters geborenen und in München an dem 5. September 1953 gestorbenen Ricardo Walther Oscar Darré, der nach der deutschen Schule in Buenos Aires eine Oberrealschule in Heidelberg, das Pädagogium Godesberg, die King’s College School in Wimbledon und ab Oktober 1914 die deutsche Kolonialschule in Witzenhausen besuchte, beschäftigt sich das umfangreiche vorliegende Werk des Verfassers, dem in dem Kern die durch neues Quellenmaterial abgestützte und mit neuen Erkenntnissen angereicherte, von Paul Kluke betreute Dissertation zugrunde liegt, mit der er 1965 an der philosophischen Fakultät der Universität Frankfurt am Main promoviert wurde. Es hat nach seinem Erscheinen das besondere Interesse eines sehr sachkundigen Rezensenten erweckt. Deswegen genügt an dieser Stelle ein allgemeiner Hinweis auf das interessante Werk des in Koblenz 1938 geborenen, in Geschichte, Politikwissenschaft und Germanistik in Frankfurt am Main und München ausgebildeten, ab 1970 als Dozent an dem Seminar für politische Bildung und Didaktik der Geschichte der Pädagogischen Hochschule Münster, ab 1973 als Professor für Didaktik der Geschichte an dem historischen Seminar der Pädagogischen Hochschule Berlin und von 1980 bis 2003 als Professor für Didaktik der Geschichte an der Freien Universität Berlin tätigen Verfassers.
Gegliedert ist es nach einem kurzen Vorwort und einem Prolog über Bedeutung, Selbstinszenierung und Kuriositäten in drei Teile. Sie betreffen Darrés weltanschauliche Prägungen und seinen Weg zu Hitler, die „Blut und Boden“-Ideologie und ihre Implementierung im „Dritten Reich“ und Darrés Beitrag zur Machteroberung Hitlers und der NSDAP. ab 1930. Dabei kann der Verfasser zeigen, dass Darré, der durch zwei Schriften über das Bauerntum als Lebensquell der nordischen Rasse von 1929 und Neuadel aus Blut und Boden von 1930 eine gewisse Bekanntheit erlangt hatte, in dem Frühjahr 1930 mit Hitler bekannt gemacht wurde und das Angebot erhielt, eine den Bauern gewidmete Abteilung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei zu führen, aber das Schlagwort von Blut und Boden nicht erfand, sondern nur aufgriff, und später mit Hermann Göring, Hjalmar Schacht und Heinrich Himmler in Auseinandersetzungen geriet, als deren Folge Hitler an dem 16. Mai 1942 verfügte, dass Darré wegen seines angegriffenen Gesundheitszustands von der Leitung des Reichsamts für Agrarpolitik bis auf weiteres beurlaubt wurde und danach seine Bedeutung verlor und zurückgezogen lebte.
Innsbruck Gerhard Köbler