Die Enteignung. Historische, vergleichende, dogmatische und politische Perspektiven auf ein Rechtsinstitut, hg. v. Depenheuer, Otto/Shirvani, Foroud (= Bibliothek des Eigentums 16). Springer, Berlin 2017. X, 310 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Die Enteignung als die Entziehung oder Belastung des Eigentums durch staatlichen Hoheitsakt zur Befriedigung öffentlicher Belange (z. B. zum Wohl der Allgemeinheit, zum allgemeinen Besten) ist eine von dem Menschen in dem Laufe seiner Geschichte entwickelte Einrichtung. Sie wird bereits in der römischen Spätantike bezüglich Grundstücke oder Lebensmittel geübt und als Zwangskauf verstanden. Danach kann in der hochmittelalterlichen Stadt (Oberitalien 12. Jahrhundert, Kopenhagen 1254, Schaffhausen 1380) eine bauliche Beschränkung festgelegt oder sogar das Eigen gänzlich entzogen werden.
Nach dem kurzen Vorwort der in Köln und Bonn tätigen Herausgeber des vorliegenden Sammelbands ist sie als Rechtsprinzip überall in der Welt anerkannt, findet sich fast in allen Verfassungen und bildet den Gegensatz zu der Eigentumsgarantie. Die jeweilige Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Eigentum und Enteignung beschreibt die Freiheitlichkeit der entsprechenden Gesellschaft. Dementsprechend verstehen die Herausgeber die Enteignung als ständige Herausforderung der Rechtswissenschaft, den Schutz des Eigentums der Staatsbürger unter verschiedenen politischen Rahmenbedingungen zu wahren und zu sichern.
Insgesamt umfasst das auf ihre Initiative hin gelungen Werk zehn Beiträge zu Rechtsgeschichte, internationalem und europäischem Recht, Enteignung und Grundgesetz und Rechtspolitik, die mit einem Überblick Mathias Schmoeckels zu der Geschichte der Enteignung bis zu dem 18. Jahrhundert unter dem Titel Omnia sunt regis beginnen und von Foroud Shirvani von dem frühen 19. Jahrhundert bis zu der Weimarer Reichsverfassung von 1919 fortgesetzt werden. Danach werden Enteignung und Entschädigung in dem Systemvergleich und nach der Europäischen Menschenrechtskonvention betrachtet sowie nach deutschem Recht auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von dem 15. Juli 1981 über die Nassauskiesung Enteignung, ausgleichspflichtige Inhaltsbestimmung und Schrankenbestimmung, enteignungsgleicher und enteignender Eingriff sowie Entschädigung und Ausgleich untersucht. An dem Ende widmet sich Otto Depenheuer rechtpolitisch dem verborgenen Sinn und latenten Potential der Enteignungsentschädigung zwischen normativem Gebot, pragmatischer Problemlösung und verführerischem Paradigma, ohne dass sich Stimmungslagen in der demokratischen Republik und ihren Organen zu Privateigentum und Staatsmacht verlässlich längerfristig eindeutig vorhersagen lassen, wenn auch Eigentümer nach Möglichkeit an ihrem Eigentum festzuhalten versuchen werden.
Innsbruck Gerhard Köbler