Darnstädt, Thomas, Verschlusssache Karlsruhe – Die internen Akten des Bundesverfassungsgerichts. Piper, München 2018. 419 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Der Mensch hat seit seiner Entstehung wie andere Lebewesen sein Gehirn für die möglichst vorteilhafte Verarbeitung von Sinnesreizen und darüber hinaus seit der Entwicklung der Sprache ein Lautsystem zu der den Mitmenschen verständlichen Äußerung seiner Überlegungen. Damit hat sich für ihn die Möglichkeit ergeben, die Äußerung seiner Gedanken von seinen Gedanken selbst zu trennen und etwas Anderes zu sagen als er denkt. Dementsprechend sind auch seine Mitmenschen daran interessiert, zu erfahren, ob er etwas Anderes sagt als er denkt, wobei interne Akten ein Hilfsmittel für die Annäherung an das grundsätzlich zumindest derzeit noch nicht sicher erkundbare Denken eines Menschen sein und dementsprechend für die an der Kenntnis der wahren Wirklichkeit Interessierten bilden können.
Mit einem Teilaspekt dieses menschlichen Erfahrungsbereichs beschäftigt sich das vorliegende Werk des in Goslar 1949 in dem Jahre der Schaffung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland als Sohn eines Journalisten und Dramaturgen und einer Schriftstellerin geborenen, in Frankfurt am Main in der Rechtswissenschaft ausgebildeten, mit einer Dissertation über Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge an Hand der Struktur und Bedeutung der Prognosetatbestände in dem Recht der öffentlichen Sicherheit und Ordnung promovierten und nach der zweiten juristischen Staatsprüfung als Redakteur für den Spiegel tätigen sowie durch Bücher über den Polizeistaat, Justizirrtümer und den Prozess gegen die nationalsozialistischen Hauptkriegsverbrecher hervorgetretenen Verfassers. Nach einer Einleitung über die Frage, wie 24 Richter die Demokratie in Deutschland neu erfanden, erörtert er unter Verwendung früher streng verschlossener, nunmehr unter zeitlichen Einschränkungen zugänglicher interner Unterlagen des Bundesverfassungsgerichts Deutschlands insgesamt acht wichtige Entscheidungen. Sie betreffen das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Erfindung der Freiheit in einer Welt der Verbote, die Strafbarkeit der Homosexualität, die Freiheit der Guten, das versuchte Staatsfernsehen Konrad Adenauers, die Spiegelaffäre und die Straffreiheit der Abtreibung.
Unmittelbar nach seinem Bekanntwerden ist das auf der Vorderseite mit roter Robe veranschaulichte Buch auf das Interesse eines besonders sachkundigen Rezensenten gestoßen. Deswegen genügt an dieser Stelle ein erster allgemeiner Hinweis. Dieser kann in der besonderen Anerkennung für das vorzügliche Sachwissen des Verfassers, sein grundlegendes Engagement für moderne Freiheiten und seine überaus spannenden Darlegungen bestehen, auch wenn der Zugang zu den internen Akten des Bundesverfassungsgerichts letztlich nur die Menschlichkeit des Menschen und die Fragwürdigkeit einer objektiven, von den Lebenserfahrungen des jeweiligen Entscheiders unabhängigen Gerechtigkeit einmal mehr unter Beweis stellen kann.
Innsbruck Gerhard Köbler