Akçam, Taner, Tötungsbefehle – Talat Paschas Telegramme und der Völkermord an den Armeniern (= Genozid und Gedächtnis), aus dem Englischen unter Zuhilfenahme des türkischen Originals übersetzt von Taylan, Kamil. Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2019. 255 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Nach den Träumen mancher Idealisten lebten die Menschen anfangs in einem Paradies und waren edel, hilfreich und gut, da sie keine Not kannten und keinen Mangel verwalten mussten. Vermutlich war in der Wirklichkeit das Selbsterhaltungsbedürfnis von Anfang an so stark vorhanden, dass der Mensch nicht nur andere Lebewesen entsprechend seinen Vorstellungen nutzte und bei Bedarf bekämpfte und dabei beispielsweise Pflanzen in Kraut und Unkraut schied, sondern auf der Suche nach günstigeren Lebensbedingungen auch menschliche Konkurrenten bekriegte und in Zweifelsfällen mit oder ohne Grund benachteiligte, verletzte und notfalls auch offen und skrupellos oder heimlich und hinterlistig tötete, wofür eine vollständige Weltgeschichte wohl zahlreiche Beispiele bieten könnte.

 

Das vorliegende, mit einem offenen Vorwort des seit der Tötung seines Freundes Hrant Dink auf offener Straße an dem 19. Januar 2007 durch türkische Nationalisten allmählich die Tötung vieler Armenier durch Türken als Völkermord einordnenden Cem Özdemir versehene Werk des in Ardahan 1953 geborenen, an der Middle East Technical University in Ankara in Verwaltungswissenschaft und Volkswirtschaft ausgebildeten, danach die Gruppe Revolutionärer Weg unterstützenden, 1976 zu zehn Jahren Haft verurteilten, ein Jahr später entflohenen und nach Deutschland emigrierten, nach der Ermordung eines Freundes durch die Arbeiterpartei Kurdistans an dem Institut für Sozialforschung in Hamburg über die Geschichte der Gewalttätigkeit und Folterung in der Türkei arbeitenden, 1995 an der Universität Hannover promovierten und anschließend als Professor für Geschichte an die Clark University in Worcester/Massachusetts in den Vereinigten Staaten von Amerika gelangten Verfassers beschäftigt sich mit dem Völkermord an den Armeniern durch die Türkei. Es gliedert sich nach einem Vorwort vor allem über Fakten, Wahrheiten und Leugnung und einer Einführung über Naim Efendi und seine Memoiren in drei Sachkapitel. Sie betreffen die Historie und Authentizität Naim Efendis und seiner Memoiren, die Frage, ob die Dokumente Falsifikate sind, wenn die Memoiren gefälscht sind, und die Bestätigung der von Naim Efendi erwähnten Themen und Ereignisse durch osmanische Dokumente.

 

In diesem Rahmen zeigt der engagierte Verfasser, dass die so genannten Talat Pascha-Telegramme mit detaillierten Befehlen zu der Ermordung der Armenier in der Türkei nicht gefälscht sind und wichtige Dokumente von Leugnern des Völkermords zurückgehalten werden. Der ohne Schulabschluss in den Staatsdienst aufgenommene und innerhalb der Jungtürken rasch aufgestiegene Mehmet Talat Pascha war als Innenminister des osmanischen Reiches hauptverantwortlich für den Völkermord an den Armeniern mit etwa 1,5 Millionen Opfern. Ein Unterseeboot des Deutschen Reiches brachte den an dem 8. Oktober 1918 als Folge der sich abzeichnenden Niederlage des Deutschen Reiches in dem ersten Weltkrieg zurücktretenden Politiker zusammen mit anderen in der Nacht von dem 2. November auf den 3. November 1918 nach Odessa, von wo aus er nach Berlin gelangte, wo er an dem 15. März 1921 getötet wurde – fast hundert Jahre bevor der Bundestag Deutschlands in dem Juni 2016 auf eínen Antrag von CDU/CSU, SPD und Grünen das unmenschliche Geschehen mehrheitlich als Völkermord bezeichnete.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler