Weinert, Jörn, Studien zur Sprache Eikes von Repgow. Ursprung – Gestalt – Wirkungen (= Deutsche Sprachgeschichte. Texte und Untersuchungen 8). Lang, Frankfurt am Main 2017. 679 S., 5 Abb. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Wie der 1976 geborene, in Halle-Wittenberg 2006 mit einer Dissertation über die Dresdner Bilderhandschrift des Sachsenspiegels (Studien zur Schreibsprache) promovierte Autor der vorliegenden, von Hans-Joachim Solms angeregten und betreuten, in dem Februar 2015 von der philosophischen Fakultät II der Universität Halle-Wittenberg angenommenen Habilitationsschrift bereits in seinem Eingang feststellt, machte die Ausstrahlungskraft (des so genannten) Sachsenspiegels seinen Verfasser zu einem der bekanntesten Textschaffenden des Mittelalters. Seine Formulierungen wurden tausende Male abgeschrieben und umgestaltet. Seine Sätze wurden in einem Zeitraum von mehr als sieben Jahrhunderten immer wieder zitiert, wenn es darum ging, Recht zu finden.

 

Gleichwohl ist auch in der Gegenwart noch keine vollständige Klarheit zu Schöpfer und Werk geschaffen. Deswegen fragt der Verfasser, wer war der Schöpfer und Impulsgeber, dessen Arbeit eine solche Wirkung hatte? Wo lagen die Wurzeln seines Schaffens?

 

Wie war das, was er ausführte, gestaltet? Was blieb davon in den verschiedenen Ausprägungen der Überlieferung erhalten? Welcher Einfluss auf die Nachwelt ist insofern dem Handeln dieses Einzelnen vielleicht beizumessen?

 

Diesen Fragen ging er nach seinem kurzen Vorwort nach seiner Rückkehr an die Universität in dem Januar 2012 auf breiter, merkwürdigerweise in dem Literaturverzeichnis die Vornamen der Verfasser trotz alphabetischer Ordnung der Titel nach Familiennamen voranstellender Literaturgrundlage nach. Trotz angenehmer Unterbrechung durch sieben Monate Elternzeit mit Gregor und Simon und eine zweimonatige Gastdozentur an der von dem Sachsenspiegel eher entfernten staatlichen linguistischen Brjussow-Universität Eriwan lagen bereits drei Jahre später die vielfältigen Ergebnisse in dem seinem Bruder gewidmeten Werk vor. Gegliedert sind sie in zehn Abschnitte.

 

Sie beginnen mit einem Überblick über Fragestellungen und Vorgehensweise, Grundlagen und Quellen. Danach fragt der Verfasser nach Eike von Repgow als Verfasser des Sachsenspiegels und untersucht Reppichau als sprachgeschichtlichen Ausgangspunkt, um daraufhin räumliche Eingrenzungen und erste Indizien einer sprachlichen Ausgangssituation zu benennen. Anschließend betrachtet er Reppichau und den Sachsenspiegel (mit Nachweisen deutscher Sprache um Reppichau bis 1235), Eike von Repgow und Aken, die soziokulturelle Verortung der Sprache Eikes von Repgow, die schreibsprachliche Verortung (Diktat oder eigenhändige Niederschrift?, nach dem Verfasser S. 379 ungewiss) und die Wirkungen der Sprache Eikes von Repgow.

 

Seine vielfältigen, umsichtigen Erkenntnisgewinne, die durch verschiedene Register benutzerfreundlich abgerundet werden, fasst er an dem Ende in 24 Punkten zusammen. Danach ist der in der Vorrede in Reimpaaren als Schöpfer des Sachsenspiegels genannte Eike van Repchowe zwar wahrscheinlich als Verfasser der meisten landrechtlichen Textteile anzusehen, doch erscheint es ungewiss, ob er auch als Urheber des (möglicherweise später entstandenen) Abschnittes gelten darf, der als Lehnrecht bezeichnet wird. Da es für das in Bezug genommene Dorf Reppichau keine hinreichenden Quellen gibt, die mit einer in der Überlieferung des Sachsenspiegels vorliegenden Sprache in Beziehung gesetzt werden könnten, ist hierfür der weitere, von Elbe, Saale, Mulde und Fuhne umschlossene Kleinraum (Serimunt) zu berücksichtigen.

 

Anhand der Befunde in dem ältesten Schriftgut vermutet der Verfasser, dass in der spätestens in karolingischer Zeit von Sorben besiedelten Gegend um Reppichau weitaus früher Einflussmöglichkeiten westlicher Sprache und Kultur bestanden als in vielen anderen Bereichen östlich der Saale. In der Folge nimmt der Verfasser an, dass die Familie Eikes bei ihrer Ersterwähnung (1156) bereits seit mehreren Generationen in Serimunt ansässig war, so dass ihre deutsche bzw. altsächsische Sprache sich wohl spätestens seit der Mitte des 10. Jahrhunderts ausformen konnte. Nicht beweisen lasse sich dabei, dass Eike sich selbst des Wortgebrauchs seiner sorbischen Nachbarn bedienen konnte.

 

Eike konnte nach dem Verfasser Sprachgut in seinem Rechtsbuch abbilden, das er in dörflichen Wohnbereichen und Wirtschaftsbereichen aufgenommen hatte, und zugleich mittelhochdeutsch dichten. Verbindungen Eikes zu literati stimmen zu bisher unbeachtet gebliebenen Hinweisen auf seine lateinische Sprachkompetenz. Von bislang nicht bewiesenen Aufenthalten Eikes in Magdeburg ist nach dem Verfasser wohl auszugehen.

 

Als Abfassungsort des Sachsenspiegels, dessen für sein Thema wichtigste Textzeugen der Verfasser auf den Seiten 35ff. vorstellt, kommt auch das kaum fünf Kilometer von Reppichau entfernte Aken in Betracht. Nach dem Verfasser spricht einiges dafür, dass Eike zwischen 1160 und 1170 geboren wurde und er bereits in fortgeschrittenerem Alter stand, als sein Buch niedergeschrieben wurde (und er dementsprechend 1233 bis zu 73 Jahre alt gewesen sein könnte). Sein Wortschatz dürfte das Mittelhochdeutsche kaum beeinflusst haben (ausgenommen vielleicht Fronbote). Ein Einfluss des von Eike verwendeten Satzbaus auf den Entwicklungsgang des Deutschen lässt sich nicht nachweisen.

 

Zwar könnte man, wie bereits auf S. 58 dargelegt, gewisse Unterschiede der beiden ungleich umfangreichen Hauptbestandteile des Sachsenspiegels vielleicht als Hinweise auf zwei verschiedene Verfasser verstehen. Als eindeutiger Beweis ist jedoch keiner der Befunde aufzufassen, weil die Rechtswirklichkeit der Entstehungszeit jeweils nur unzureichend bekannt ist. Es wäre daher nicht mit Sicherheit auszuschließen, dass gleiche oder ähnliche Gegebenheiten in landrechtlichen und lehnrechtlichen Rechtskreisen unterschiedlich gehandhabt wurden, weshalb der Verfasser eine Verlängerung seiner Beispielliste für wenig sinnhaft hält.

 

Anschließend an seine Ergebnisse sieht der Verfasser für die ältere deutsche Philologie viele Forschungsaufgaben. So wären im Idealfall etwa alle greifbaren (mittelniederdeutschen, mittelhochdeutschen und fremdsprachigen) Zeugnisse des Werkes so aufzubereiten, das sie einander gegenübergestellt werden können. Auf dieser Grundlage könnte auf einige noch unbeantwortete Forschungsfragen der vergangenen zwei Jahrhunderte weiter eingegangen werden und wären sicher auch detaillierte Überprüfungen der Ergebnisse vorliegender Studien möglich.

 

Ferner könnte beispielsweise die Möglichkeit einer Verbindung Eikes zu Aken weiter überprüft werden. Dort sind seit 1265 Einwohner jüdischer Herkunft nachweisbar. Einige Inhalte des Sachsenspiegels verweisen nach dem Verfasser auf deren Kulturkreis.

 

Insgesamt sieht der Verfasser schließlich Ursprünge, Gestalt und Wirkungen einer Sprache Eikes von Repgow vor allem auch als in ihrem Verhältnis zu dem Dorf Reppichau und dessen nächstem Umfeld beschreibbar. Für ihn ist die Bedeutung von Sprache und Geschichte des dortigen Kleinraums für Fragen zu Autor und Werk größer als bisher angenommen. Möge diese Erkenntnis zu weiterer Klärung der Ursprünge, Gestalt und Wirkungen der Sprache Eikes von Repgow führen.

 

Insbruck                                                         Gerhard Köbler