Wallwitz, Georg von, Meine Herren, dies ist keine Badeanstalt. Wie ein Mathematiker das 20. Jahrhundert veränderte. 3. Aufl. Berenberg, Berlin 2017. 251 S.

 

Der Autor, der Mathematik und Philosophie in England und Deutschland studiert hat und heute als selbständiger Fondsmanager und Mitinhaber einer Vermögensverwaltung tätig ist, hat sich zum Ziel gesetzt, die Scheu des mathematischen und naturwissenschaftlichen Laien (zu denen der Rezensent gehört) vor der Mathematik überwinden zu helfen und eine Biographie des berühmten Mathematikers David Hilbert (23.1.1862–14.2.1943) vorzulegen, die auch für einen interessierten Laien gut lesbar und verständlich ist. Gleich zu Beginn der Arbeit heißt es, über Inhalte könne nicht gesprochen werden, wohl aber über biographische Konstellationen, die Denkweise und die Aufgaben, aus denen die Mathematik hervorgehe (S. 8f.).

 

David Hilbert, in Königsberg geboren, studierte dort seit 1880 Mathematik, promovierte in diesem Fach, habilitierte sich und wurde alsdann zum Ordinarius an der gleichen Universität berufen. Im Jahre 1895 ging er an die traditionsreiche Universität Göttingen, wo die berühmten Mathematiker Gauss und Riemann gelehrt hatten. Dort lebte er bis zu seinem Ende (1943). Mit diesen dürren Worten lassen sich die wichtigsten Stationen von Hilberts Lebensweg beschreiben. Zu ergänzen sind noch die Eheschließung (1892) und die Geburt eines als geistig zurückgeblieben eingestuften Sohnes (1893).

 

Angesichts des äußerlich meist in ruhigen Bahnen verlaufenen Lebens legt der Autor besonderes Gewicht auf die herausragende Bedeutung, die dem engem Kontakt Hilberts zu Kollegen und dem fachlichen Gespräch mit ihnen zukam. Er stellt ihre familiäre Herkunft, ihren Bildungsgang, ihre persönlichen Stärken und Schwächen dar und geht anschaulich auf die geistige Atmosphäre ein, der sie entstammten und in der sie lebten.

 

Bereits in Königsberg pflegte Hilbert als Doktorand den Austausch mit den Mathematikern Adolf Hurwitz (dem späteren Ordinarius an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich) und Hermann Minkowski (später Professor in Göttingen). Als Hilbert und Minkowski in Göttingen lebten, leisteten beide einen entscheidenden Beitrag zur mathematischen Formulierung der Allgemeinen Relativitätstheorie Albert Einsteins. Auch mit Einstein selbst verband Hilbert eine Freundschaft, die nur kurz dadurch getrübt wurde, dass sie in eine Art Wettstreit gerieten, in dem es darum ging, die Allgemeine Relativitätstheorie auf eine sichere, mathematisch korrekte Grundlage zu stellen. Als ein weiteres Beispiel für eine kollegiale Freundschaft ist Beziehung zu der Mathematikerin Emmy Noether zu nennen, auf die sich das Diktum Hilberts bezieht, das den Titel des Buches bildet. Hilbert wandte sich damit – wenn auch erfolglos – an die Kollegen der Philosophischen Fakultät, die sich geweigert hatten, einer Frau die Habilitation und damit auch eine Professur zu ermöglichen.

 

Hilbert hat in Göttingen eine Gruppe jüngerer Mathematiker und Physiker um sich geschart, die zur Elite ihres Fachs zählten und die Göttinger Universität zu einem Weltzentrum der Mathematik machten. Nach 1933 mussten die bedeutendsten seiner Kollegen jedoch aufgrund der Nürnberger Rassengesetze Deutschland verlassen, darunter Emmy Noether, Richard Courant, Robert Oppenheimer und John von Neumann. Sie alle emigrierten in die Vereinigten Staaten von Amerika.

 

Zusammenfassend heißt es, Hilbert sei der einflussreichste Mathematiker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewesen. Er habe der Entwicklung der Mathematik seines Jahrhunderts die Richtung vorgegeben. Vieles von dem, was heute unseren Alltag bestimme, zum Beispiel der Computer, sei in Auseinandersetzung mit seinen Ideen entstanden. Kein Zufall sei es, dass sich mehrere Physiker, die später in den Vereinigten Staaten von Amerika an der Entwicklung der Atombombe beteiligt gewesen seien, in Göttingen bei Hilbert kennen gelernt hatten (S. 9).

 

Dem Autor gelingt es, den Lebensweg und die Arbeit Hilberts klar und für Laien verständlich darzustellen. Deutlich wird Hilberts Ziel, die Grundlagen der Mathematik zu sichern, indem sie, wie Hilbert formuliert, auf „ein einfaches und vollständiges System von einander unabhängiger Axiome“ zurückgeführt wird (S. 60). Gelegentlich werden allgemein verständliche, mathematische Darlegungen in den laufenden Text eingefügt, zum Beispiel der Beweis Georg Cantors für die Überabzählbarkeit des Kontinuums (S. 44). In der Regel lassen sich mathematische Ausführungen jedoch nur in besonders gekennzeichneten Fußnoten finden, die fachlich gebildeten Lesern vorbehalten sind. Glücklicherweise hält sich der Autor also nicht ganz an seinen Vorsatz, nicht über mathematische Inhalte zu schreiben. Zur Lebendigkeit der Darstellung tragen zahlreiche, gut ausgewählte Zitate aus Werken und Briefen Hilberts und seiner Zeitgenossen bei, wobei anzumerken ist, dass der Autor keine eigenen Forschungen, etwa in Archiven, unternommen, sondern sich auf die Auswertung der vorhandenen Literatur beschränkt hat

 

Kritisch zu beurteilen ist der sprachliche Stil: Der Autor formuliert häufig allzu flott und redensartlich, zum Teil auch etwas despektierlich gegenüber den dargestellten Personen – etwa wenn er den berühmten Mathematiker Kurt Gödel mit einer Schilderung seines äußeren Erscheinungsbildes einführt und mit der Feststellung beginnt, er habe einen „weichen runden Kartoffelkopf“ gehabt (S. 218). Um das jugendliche Alter einiger, später berühmt gewordener Physiker (Wolfgang Pauli, Werner Heisenberg zum Beispiel) zu betonen, werden diese permanent als „Wunderknaben“ oder „Knabenphysiker“ tituliert. Auch sonst ist die Darstellung nicht frei von Klischees. So ist es wohl allzu kurzschlüssig, wenn im Hinblick auf Georg Cantor, den Schöpfer der Lehre von den unendlichen Mengen, eine kausale Verbindung zwischen dessen Depressionen und dem Inhalt seiner mathematischen Arbeit, nämlich der Erforschung des Unendlichen, nahegelegt wird (S. 42f., 46).

 

Die Arbeit hätte ein besseres Lektorat verdient. So wäre darauf zu achten gewesen, dass Appositionen im gleichen Kasus stehen müssen wie das Substantiv, auf das sie sich beziehen (Kasuskonvergenz). Es dürfte zum Beispiel nicht heißen: „und machte ihn zum Mitarbeiter der Mathematischen Annalen, dem zu jener Zeit einflussreichsten Fachblatt“ (S. 150), korrekt wäre: „des zu jener Zeit einflussreichsten Fachblattes“; ähnliche Fälle eines inkongruenten Kasus finden sich zum Beispiel auch S. 26 Anm. 8, S. 78, 101 und 205. Derartige Verstöße gegen die sprachliche Logik treten heutzutage in den Medien häufig auf, so dass sie fast schon normal wirken, sollten jedoch nicht vorkommen – schon gar nicht in einem Werk, zu dessen zentralen Themen die Logik gehört.

 

Das Fazit lautet: Obwohl einige Vorbehalte anzumelden sind, kann das Werk interessierten Laien durchaus empfohlen werden. Sollten sie sich eingehender mit dem Leben und Wirken Hilberts und seiner zeitgenössischen Kollegen beschäftigen wollen, finden sie darin weiterführende Literatur. Darüber hinaus ist ein (bisher leider nur in englischer Sprache erschienenes) Werk zu empfehlen, in dem die Arbeit Hilberts in einen größeren Kontext, nämlich die kulturelle Entwicklung in der Zeit von 1890 bis 1930, gestellt wird, das Buch von Jeremy Grey: Plato’s ghost. The modernist transformation of mathematics. Princeton 2008.

 

Heidelberg                                                     Hans-Michael Empell