Vurgun, Oskar, Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen (= Schriften zur Rechtsgeschichte 180). Duncker & Humblot, Berlin 2017. 618 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Der auch die ausführende Staatsgewalt gegenüber der in der frühen Neuzeit unabhängig werdenden Gerichtsbarkeit stärkende Staatsanwalt ist in Frankreich seit dem 14. Jahrhundert allmählich entstanden und hat seine endgültige Form 1799/1808 gefunden. Seitdem vertritt er den Staat in der Strafanklage und verfolgt auch Interessen der oft schwachen Opfer gegenüber den Tätern. Allerdings kann dabei der Staat eigene Ziele anstreben und innerhalb des Staates auch der Staatsanwalt selbst, wie dies insbesondere bei politischer Strafverfolgung möglich ist, bei der Interessen von Opfern sehr stark in den Hintergrund treten können.

 

Mit einem besonderen Teilaspekt dieser allgemeinen Problematik beschäftigt sich die vorliegende, von Alfred Rinnerthaler und Gerhard Ammerer betreute, von der Universität Salzburg in dem Mai 2014 angenommene, vielseitig finanziell unterstützte umfangreiche Dissertation des Verfassers. Sie gliedert sich nach einer Einleitung über Ziel und methodischen Ansatz, Forschungsstand, Forschungsfragen, Gang der Darstellung sowie Quellenlage und Quellenwert in zwei etwa gleichgewichtige Teile. Sie betreffen die Staatsanwaltschaft bei dem Sondergericht Aachen und ihre Rolle in dem Justizverwaltungsapparat einerseits und die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis der Staatsanwaltschaft Aachen, dargestellt an Hand der Verfahrensakten der Staatsanwaltschaft bei dem Sondergericht Aachen andererseits.

 

In seinem Ergebnis kann der Verfasser bestätigen, dass durch die Novellierung des Strafrechts und des Strafprozessrechts das normative Fundament für eine Machtsteigerung der Staatsanwaltschaft in dem nationalsozialistischen Justizverwaltungsgefüge geschaffen wurde, wobei nach den ansprechenden Feststellungen des Verfassers etwa die Aufhebung des Analogieverbots tatsächlich von geringer Bedeutung war, während andererseits neue Normen die Arbeit der Staatsanwaltschaft vielfältig bestimmten. Das Personal kann er zumindest formal als politisch linientreu einstufen, wobei er bei dem Leitenden Oberstaatsanwalt Führer, dem Ersten Staatsanwalt Ackermann und den Staatsanwälten Höher und Zimmerath signifikante Strafmaßvorstellungen ermitteln kann, so dass er insgesamt die Anklagebehörde als politisch lenkbare Behörde einordnet, wobei konkrete Einzelweisungen in nur 2,2 Prozent der überlieferten Verfahren erkennbar sind. Vor allem in den Deliktsgruppen des Kriegsstrafrechts findet er eine extensive Auslegung von Tatbestandsmerkmalen, so dass er an dem Ende insbesondere mit Blick aus das bisweilen geforderte Strafmaß und einen Teil des Personals durchaus von einer politischen Selbstinstrumentalisierung sprechen kann.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler