Tsekhanovich, Dzianis, Von der Willenstheorie zum Eventualvorsatz. Der Einfluss deutscher Strafrechtslehre auf die russische Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts (= Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung, Münchener Universitätsschriften, Juristische Fakultät 99). Schmidt, Berlin 2018. XXII, 311 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Auch das Strafrecht hat sich wie das übrige Recht in dem Laufe der Geschichte allmählich entwickelt, wobei es zu zahlreichen kulturellen Interferenzerscheinungen gekommen ist. Der Wille zu der Verwirklichung eines Straftatbestands in Kenntnis all seiner Tatumstände ist so alt wie die Strafe für ein menschliches Verhalten. Als solcher erfasst wird er von der römischen Jurisprudenz, die erst zu Beginn der klassischen Zeit an die an ein Handeln gebundene Fahrlässigkeit die zunächst auf den Vorsatz beschränkte Folge anknüpft.
Mit dem noch jüngeren Eventualvorsatz beschäftigt sich die von Petra Wittig betreute, an der Professur für Strafrecht und Rechtsphilosophie der Universität München entstandene Dissertation des aus Weißrussland stammenden, in Geschichte und Rechtswissenschaft ausgebildeten, auch Deutschland als eines seiner beiden Heimatländer bezeichnenden Verfassers. Sie gliedert sich nach einer Einleitung über die Rechtsfigur des bedingten Vorsatzes in dem Strafgesetz Russlands, die Problemstellung, die Ziele der Untersuchung und den Gang der Untersuchung in fünf Teile. Sie betreffen die Geschichte der kanonischen oder kanonistischen Lehre von dem versari in re illicita und der Rechtsfiguren der voluntas indirecta, des dolus indirectus und des dolus eventualis, die Lehre von dem dolus indeterminatus und von der culpa dolo determinata als Ersatz der Lehre von dem dolus indirechtus, die Natur und den Ursprung der Rechtsfigur des indirekten Vorsatzes in dem Strafgesetzbuch Russlands von 1845, den Einfluss Wächters auf die Entwicklung des eventuellen Vorsatzes in dem Strafrecht Russlands und den Einfluss der bereits in Art. 48 I des Strafgesetzes Russlands von 1903 enthaltenen Gleichgültigkeitslehre Taganzews von dem eventuellen Vorsatz auf den gesetzlichen Begriff in den Strafgesetzbüchern der Sowjetunion und der russischen Föderation.
Der Verfasser beginnt dementsprechend mit der Doluslehre des Kommentators Bartolus. Er betrachtet sehr detailliert und umsichtig den Eventualvorsatz etwa bei Covarruvias, Carpzow, Boehmer, Nettelbladt und Feuerbach. Im aktuellsten Teil seiner tiefgründigen und weiterführenden Untersuchung kann er feststellen, dass in dem gegenwärtigen Strafgesetzbuch der russischen Föderation aus dem Jahre 1996 der dolus eventualis außer der taganzewschen Gleichgültigkeitstheorie auch die während der Sowjetunion entstandene Synthesetheorie enthält. Seine vielfältigen Einsichten über den Einfluss deutscher Strafrechtstheorie auf das Recht Russlands während des 19. Jahrhunderts dokumentiert er in diesem Rahmen auch mit Hilfe mehrerer eigenständiger Tabellen, zu deren Gunsten er auf ein eigenes Sachverzeichnis verzichtet.
Innsbruck Gerhard Köbler