Sommer, Lisa, Die Geschichte des Werkbegriffs im deutschen Urheberrecht (= Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht 130). Mohr Siebeck, Tübingen 2017. XVIII, 295 S. Besprochen von Albrecht Götz von Olenhusen.
Zu den „Paradoxien des Werkbegriffs“ (Helmut Haberstumpf) zählt, dass seine Harmonisierung und Europäisierung von dem Gerichtshof der Europäischen Union eher bejaht oder mindestens angestrebt, während sie von nationalen Gerichten und Lehrmeinungen eher abgelehnt wird.
Der rechtshistorischen Entwicklung des Werkbegriffs ist die bei Diethelm Klippel (Bayreuth) entstandene Dissertation der Verfasserin gewidmet. Sie untersucht die Geschichte des Begriffs seit dem Literatururhebergesetz von 1871 bis zu dem Urhebergesetz von 1965, nach ihrem Anspruch im Kontext der technologischen Medien- und Wirtschaftsgeschichte. Schwerpunkte bilden jedoch die Pluralität der begrifflichen Erfassung und die Phasen der Expansion und Eingrenzung. Mit der Arbeit soll eine Lücke in der bisherigen Forschung geschlossen werden.
Die Differenzierung ergab sich zu Beginn des Untersuchungszeitraums aus den unterschiedlichen Werkformen, die etwa die Fotografie als Werk noch ausschlossen. Das „Schriftwerk“ als Schutzobjekt stand seit der Entstehung des Urheberrechts im Mittelpunkt. Der Abbildungsschutz nach LUG wird dann gegen den für bildende Künste nach KUG abgegrenzt.
Der Interessenkonflikt zwischen Literatur- und Kunstproduktion und kunstindustriellen Erzeugnissen wird durch das Musterschutzgesetz 1876 partiell gelöst. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts erkennt schließlich auch an, dass der Charakter als Kunstwerk nicht durch einen Gebrauchszweck tangiert wird. Die Minderqualifikation der Fotografie wird mit der Einführung des PhSchG legitimiert. Mit der normativen Aufrechterhaltung der Differenzen durch LUG (1901) und KUG (1907) geht die schärfere Abgrenzung zum gewerblichen Rechtsschutz und zu Leistungen wie denen der ausübenden Künstler einher.
Der Vortrag ausübender Künstler wird vom Werkbegriff ausgeschlossen. Die neuen technischen Entwicklungen beeinflussen die notwendigen Erfassungen von Musik und Film. Es sind dann immer wieder die Grenzgebiete zur sog. angewandten Kunst, zur Baukunst und Fotografie, die Rechtsprechung, Lehre und Rechtspolitik herausfordern. In der Folge wird dann auch die „kleine Münze“ des Urheberrechts die Untergrenzen zum Gegenstand der unterschiedlichsten und umstrittenen Grenzkriterien machen. Verlagsindustrie und Filmindustrie lassen auch den Urheberschutz für Titel in den Vordergrund rücken. Die Voraussetzungen des Werkbegriffs werden weiter differenziert.
Aus der sehr instruktiven, systematischen und tiefgreifenden Darstellung mag hier die strittige Einordnung des Filmwerks herausgegriffen werden (S. 150ff.). Die Zuordnung wurde wegen der je unterschiedlichen Konsequenzen für den Schutzumfang der Rechte erschwert. Die Gefechtslage war allerdings doch etwas komplexer, als es Sommer in der gebotenen Kürze von Lehre, Judikatur und Rechtspolitik seit den 1920er Jahren vorstellt. Hier wäre ein genauerer Blick auf die epochale Zäsur – vom Stummfilm zum Tonfilm -, auf die durchgehenden Differenzen der Interessenverbände der Autoren und Künstler einerseits, der Filmindustrie und Filmtechnik andererseits ebenso notwendig gewesen, wie die politischen Bruchstellen, erzeugt durch die ästhetisch-dogmatisch-sozialpolitischen und propagandistischen Entwicklungen gerade im Filmbereich, zeigen. Zwischen dem nie Gesetz gewordenen Akademie-Entwurf von 1939 und dem Entwurf von Goldbaum/Wolff oder W. Hoffmann zehn Jahre zuvor liegen dogmatische wie politisch induzierte Welten (s. S.154). Ulmers ursprüngliches Konzept von 1954 vom Leistungsschutz für den Filmproduzenten hatte mit rechtspolitischen Diskussionen der 1930er Jahre einiges gemein, auch wenn er sich bald so wie die Entwürfe dieser Jahre und das Gesetz von 1965 zur urheberrechtlichen Doktrin wechselte. Die Kontinuitäten der Entwicklungen seit den 1930er Jahren bis zum Gesetz von 1965, von der Rechtsgeschichte, der Rechtsvergleichung, z. B. auch zuletzt von Thomas Hoeren aufgezeigt, kommen auch in der Geschichte des Werkbegriffs zum Ausdruck.
Was in dieser Entwicklung von der Verfasserin nicht eingehend einbezogen wird, ist die gleichzeitige Erstarkung von GEMA und STAGMA in ihren heftigen Interessenkonflikten um die Rechtszuständigkeiten bei den Verwertungsrechten und die Verteilung der Musiktantiemen im Filmsektor, aber auch die erheblich zunehmende Bedeutung des Films als Instrument der Propaganda, namentlich durch nationalsozialistische Filme und Wochenschauen. Symptomatisch ist die Präferenz für das Patentrecht und der Abbruch jeglicher rechtspolitischer Aktivitäten in der nationalsozialistischen Ära.
Die dogmatischen Differenzen zwischen unterschiedlich gewichteten Einheitslehren und rechtspolitischen Normkonzepten lassen komplexere Entstehungszusammenhänge mit Technik, Ökonomie und politischen Entwicklungen deutlich werden. Die Schwerpunktbildung bei Dogmatik und normativen Ausprägungen führt in der ansonsten sehr begrüßenswerten und eindringlichen Studie zur Überbewertung rein begrifflicher Anschauungen. Wenn dann in der die Phasen sorgfältig unterscheidenden Arbeit der „Siegeszug des einheitlichen Werkbegriffs“ (S. 169) mit der Literatur als „Triebfeder“ aufgezeigt wird, dann liegt der Akzent allzu sehr auf der Annahme, dass der wissenschaftlichen Entwicklung der entscheidende Anteil an der Genese gebühre. Wenn für die nationalsozialistische Zeit von einheitlichem Werkbegriff die Rede ist (S. 183ff.), wird zutreffend angemerkt, dass die Rechtsprechung eilfertig den Anforderungen des Regimes entsprach und die ideologische Ausrichtung und Anpassung sich auch in der Wissenschaft umstandslos vollzog. Alexander Elster, Julius Kopsch und Willy Hoffmann nahmen zwar in unterschiedlichen Phasen, Teilbereichen und mit je wirkungsreicherer oder schwächerer Intensität einigen fachwissenschaftlich-politischen Einfluss, waren aber doch eher Ausdruck opportunistischer Anpassung oder Identität mit dem neuen Regime. Eine wesentliche Funktion hatte faktisch und rechtspraktisch die Umgestaltung der Kulturbereiche durch die Kammern, die Verstaatlichung der Musik u. a. durch die STAGMA und die ideologisch geprägte Vorstellung von einem völkisch-sozialen Begriff von Urheber, Werk und Öffentlichkeit im nationalsozialistischen Sinne einer „Treuhänderschaft“ für die „Volksgemeinschaft“, mit der die im System lange intern weiterwuchernden Interessengegensätze überformt oder verkleistert wurden. Bemerkenswert ist weiter die rechtsgeschichtliche Entwicklung von „Schöpfung und Leistung“ in den Jahren nach 1933 und die Kontinuitäten in der Zeit nach 1945 (S. 201 ff.).
Zu den hervorstechenden Ergebnissen dieser Studie zählt, dass das deutsche Urheberrecht seit den Urheberrechtsgesetzen des Wilhelminismus keinen einheitlichen Werkbegriff kannte. Für Ausdehnung und Einschränkung in der einen wie in der anderen Richtung waren maßgeblich technische, ökonomische, soziale und rechtspolitische Gesichtspunkte und internationalrechtliche Entwicklungen. In einem Ausblick (S. 262 ff.) werden u. a. Probleme der „kleinen Münze“, der urheberrechtlichen Schutzniveaus in Europa und die Praktikabilität des einheitlichen Begriffs diskutiert. Dabei werden strengere Schutzvoraussetzungen für Werke mit Gebrauchszweck abgelehnt. Insoweit geht der Blick in die Zukunft über die historische Analyse der Schutzvoraussetzungen seit Ende des 19. Jahrhunderts bis zum UrhG 1965 hinaus. Andere Gebiete wie das Musterrecht und die internationale Entwicklung werden punktuell berücksichtigt.
Freiburg im Breisgau Albrecht Götz von Olenhusen