Schmiedt, Helmut, Die Winnetou-Trilogie. Über Karl Mays berühmtesten Roman. Karl May Verlag, Bamberg/ Radebeul 2018. 300 S. Angezeigt von Albrecht Götz von Olenhusen.

 

„May ist der meistgelesene Schriftsteller der deutschen Literaturgeschichte.“  Mit diesem zutreffenden Satz beginnt eine luzide Untersuchung, die der Germanist Helmut Schmiedt (Koblenz, Köln), ausgewiesen durch zahlreiche Studien, vorlegt. Claus Roxin (München), langjähriger Vorsitzender der Karl-May-Gesellschaft und als Strafrechtler Verfasser gleichfalls bedeutender Studien zur kriminologisch-historischen Deutung des Schriftstellers, zu seiner Biografie und seinem Werk, weist mit Recht auf den hohen Wert dieser ersten umfassenden Monografie für die Geistesgeschichte und Kulturgeschichte hin. In der Tat hat Mays Biografie und Werk auch stets die urheberrechtliche, die rechtsgeschichtliche und kriminologiegeschichtliche Wissenschaft herausgefordert.

 

 Ob der Name und der damit gegebenenfalls verbundene Begriff inzwischen nurmehr als Titel für einen edlen Indianer steht, hat die Gerichte bis zu dem Bundesgerichtshof und zu dem Gerichtshof (der Europäischen Union) bereits seit vielen Jahren beschäftigt; ob er die Wandlung zum Allgemeinbegriff des edlen Indianerhäuptlings erfahren hat, ist eine bis heute titelrechtlich strittige Frage. Roxin weist mit Recht auf die Komplexität des Werkes Mays als eines Spiegelbilds widerstreitender geistiger und sozialer Strömungen hin, in denen die angebliche Überlegenheit europäischer Werte und die Vernichtung einer indigenen Kultur eine wesentliche Rolle spielen.

 

 Wie sich die Bearbeitungen, die multimedialen Verwertungen von Mays Werken, die rezeptionsgeschichtliche Entwicklung bis hin zu textlichen und filmischen Aufnahmen und Parodien im Lichte der Kulturgeschichte, Mediengeschichte und Ideologiegeschichte heute darstellen, ist dieser fulminanten Studie zu entnehmen. Das lange Jahre in der Editionsgeschichte „verminte Gelände“ der veränderten Textgestaltungen bis hin zu den ideologischen „Einpassungen“ durch die nationalsozialistische Diktatur und nach 1945 in der Deutschen Demokratischen Republik wird von Helmut Schmiedt in den zeitgeschichtlichen Kontext gestellt und so treffend gedeutet.

 

 Für die Urhebergeschichte und Rechtsgeschichte ist diese Darstellung von mehr oder weniger „kreativer“ Rezeption von besonderem Interesse, weil sie, wie auch bei zahlreichen anderen Stoffen und Figuren, die sich über lange Epochen hinweg besonderer Beliebtheit erfreuen (S. 290), nicht nur Fragen des Urheberrechts aufwerfen, sondern auch heikle allgemeine Probleme des sog. urheberrechtlichen Denkmalschutzes. Sie sind nach allerlei lang überholten Kontroversen durch die Reprintausgaben des Bamberger Verlages, dessen Werkausgaben, die mehr als 90 Bände umfasst, gegenüber den 33 Bänden der Fehsenfeld-Edition bis 1912, und die neuen großangelegten Historisch-Kritischen Editionen Teil einer Debatte zum droit moral von Urhebern in der Perspektive der „freizügig“ genutzten Werke aus den Beletagen klassischer oder „trivialer“ eingeschätzten Literatur. Der Umgang mit immateriellem Eigentum hat literarisch wie rechtsgeschichtlich unterschiedliche Ausprägungen erfahren, wie namentlich die Geschichte der Frühen Neuzeit und des Nachdruckerzeitalters seit dem 18. Jahrhundert und die Entstehung des normativen Urheberrechts im 19.  Jahrhundert eindrücklich zeigt.

 

In diesem Zusammenhang gewinnen die literaturhistorischen Analysen des Verfassers zu dem Verhältnis von Realität und Fiktion, zur Erzähltechnik und zu dem Bild der interkulturellen Beziehungen ihren exzellenten grundsätzlichen Stellenwert. So wie die Trilogie eine May-spezifische „Religion der Humanität“ (Peter Hofmann) widerspiegelt, so auch die Ambivalenzen zwischen utopischem Befreiungsgeist und düsteren Realitäten (S. 203).

 

 Die Studie stellt Karl Mays zentrales Werk, das die unterschiedlichsten Epochen mit ihren Anfechtungen überstanden hat, nicht  nur fachwissenschaftlich, sondern auch für die allgemeine Einordnung dieser folgenreichen Werke in den literaturgeschichtlichen Kanon so lesbar dar, dass über die engere Gruppe der Karl-May-Forscher weit hinaus ein vergnügliches Kompendium über den  „roten Gentleman“ und indianischen Edelmenschen und die Vitalität solcher Figuren - inmitten diverser Deutungen – auch  zwischen Links und Rechts, zwischen europäisch-christlichen Idealen, literarischem Kolonialismus oder radikalen „Mescaleros“ vorliegt.

Düsseldorf                                                     Albrecht Götz von Olenhusen