Rückert, Joachim, Unrecht durch Recht. Zur Rechtsgeschichte der NS-Zeit (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 96). Mohr Siebeck, Tübingen 2018. VIII, 386 S. Angezeigt von Albrecht Götz von Olenhusen.

 

Die Rechtsgeschichte der nationalsozialistischen Zeit zählte schon früh zu den bevorzugten Forschungsgebieten des Rechtshistorikers und Zivilrechtslehrers Joachim Rückert (Frankfurt am Main). Der neue Sammelband vereinigt eine Reihe der essentiellen Arbeiten aus mehr als drei Jahrzehnten. Der problematische Titel wird vom Verfasser so verstanden, dass Unrecht durch Recht hier politisch geschaffen worden sei, durch Missbrauch der Rechtsfunktion und durch andere Inhalte.

 

Die fundamentalen Studien aus der Zeit zwischen 1986 und 2017 sind gewissermaßen auch zusammen zu lesen mit Rückerts Arbeiten zum Freirecht, zum Abbau der Justiz und mit speziellen Arbeiten zum einen zu Franz Neumann, zum anderen zu Franz Wieacker. Er charakterisiert seine dauerhaften Erkenntnisinteressen, angeregt etwa primär durch Pilotstudien von Bernd Rüthers und Michael Stolleis. Allerdings waren auch schon in der Generation zuvor die juristischen Denkstrukturen und zahlreiche der „Autoritäten“ in ihrer Zeit zwischen 1933 und 1945 und mit ihren zuweilen wundersamen, dann folgenden Wechselfällen unter die kritische Lupe genommen worden, wenn auch noch nicht durchweg mit den besseren Mitteln, Möglichkeiten und Maßstäben, welche die späteren Jahrzehnte prägen sollten.

 

Rückert grenzt sich nach der Genese und Gestaltung seiner Arbeiten zwischen den Zeilen von den „1968ern“ ab. Das mag auch einer der Gründe dafür sein, dass die Verdienste um die theoretische und pragmatische Aufarbeitung von NS-Rechtswissenschaft und NS-Recht, die man schwerpunktmäßig auch an einigen anderen Universitäten verorten kann, in diesem Band etwas knapper zu ihrem „Recht“ kommen. Doch darf man von einer exemplarisch und fast als endgültige „Summa“ des Lebensthemas Rückerts zu verstehenden Zusammenstellung keine auf komplette Gesamtübersicht ausgerichtete Edition erwarten. Der Leser wird durch eine imponierende und mit überwältigendem Fußnoten-Reichtum ausgestattete differenzierte Perspektive entschädigt, die auch eine perfekte Basis für weitere Forschungen liefert.

 

 

Es ist wohl eine, wenn auch keineswegs die einzige Signatur der Arbeiten Rückerts, dass er seine kritischen Betrachtungen und Analysen mit Sprachtheorie und Sprachkritik verknüpft, wie er etwa schon beim Begriff des „gesunden Volksempfindens“ aufzeigt. Die systematische Quellenfundierung der Abschnitte über Strukturen, Wissenschaftsfelder und „Exempla“ lebt von diesen auch heute noch aktuellen Ansätzen.

 

Rückert sieht in der Fülle der einzelnen Untersuchungen, wie er selbstkritisch anmerkt, keine neue „große Erzählung“, aber einprägsame differenzierte Bilder z. B. von der Erbschaft Savignys, von dem germanistischen Rechtsbegriff, von Recht und Unrecht der NS-Zeit mit ihren totalitären Ausprägungen in Verwaltung, Justiz und namentlich Strafrecht liefert er aufs Fundierteste allemal.

 

 Er weist zum Schluss eigens daraufhin, dass über große Erzählungen und Strukturen hinaus das Denken und Handeln der Menschen zu erforschen sei. Wie das zu bewältigen ist, hat Rückert, der eine rechtshistorische Gesamtdarstellung vermisst, mit seinen tief und weit greifenden Arbeiten gleichwohl dokumentiert und mehr als bewiesen, nicht zuletzt durch subtile Analysen von rechtshistorischen Kompendien bedeutender Rechtswissenschaftler von der Weimarer Zeit über die zwölf NS-Jahre bis hin zu der wiederum eilfertigen Dienstbarkeit, bei der sie trotz mancher stilistischen Geschicklichkeiten und rabulistischen Raffinessen die Kontinuitäten nicht zu verleugnen vermochten.

 

Bei Rückert verbinden sich Ideengeschichte, Normengeschichte, Rechtsgeschichte und Zeitgeschichte auf ideale Weise, vor allem auch, wenn er die unterschiedlichsten Sichtweisen aufs das „NS-Recht“ durch die späteren Generationen kritisch beleuchtet.

 

Für den Rezensenten ist diese Aufarbeitung der „Rechtserneuerung“ nach 1933, nicht nur in der Walter Frank‘schen Akademie für deutsches Recht durch Juristen, bei denen er selbst dann noch in den 1950er/1960iger Jahren Rechtswissenschaft studiert, gelernt und deren Arbeiten vor und nach dem Weltkrieg kritisch zu lesen unternommen hat, eine bewegende wie aufschließende Lektüre der Zusammenhänge, der Umdeutungen und Deutungsmuster in ihren Strukturen, Variationen, Wandlungen und opportunistischen Anpassungen an veränderte Zeitläufte.

 

Das „konkrete Ordnungsdenken“, die methodischen Neuerungen und Kontinuitäten, die „Verwaltung der Perversion“ werden in subtilen Darstellungen aufgezeigt.

 

Wenn mit dieser exemplarischen Sammlung aus der Vielzahl der auch aufzunehmenden Werke Rückerts auch kein Versuch einer rechtshistorischen Gesamtübersicht, aber doch deren methodische und perspektivische Grundlage intendiert und vorbildlich gelungen ist, so sind im letzten Abschnitt die prägnanten Beispiele aus dem Widerstand (Eugen Bolz, Kreisauer Kreis) oder der Universität Halle, die aus dem Kreis der diktaturhörigen Hochschulen an der Seitenlinie eher herausfällt, eher singulär als symptomatisch oder strukturell von ausschlaggebendem Interesse. Ohne ihren Wert gering schätzen zu wollen – manche andere Arbeit des Verfassers hätte stattdessen zum Gesamtthema besser gepasst. Der Anhang verzeichnet jedoch diese und weitere einschlägige Arbeiten des Verfassers und ihre Fundorte und bietet ferner ein Sachverzeichnis und Personenregister.

 

Düsseldorf                                                     Albrecht Götz von Olenhusen