Rick, Kevin, Verbraucherpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Geschichte des westdeutschen Konsumtionsregimes, 1945-1975 (= Wirtschafts- und Sozialgeschichte des modernen Europa 5). Nomos, Baden-Baden 2018. 455 S., Graphik., Tab. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Bei Beginn der Menschheit gab es als Produzenten nur die Natur, deren Güter der Mensch in dem Rahmen seiner Möglichkeiten verbrauchte. Mit der Sesshaftwerdung entwickelten sich aus den verbrauchenden Menschen auch Produzenten, die neben die Natur traten, um sie nach ihren Bedürfnissen durch Pflanzenbau und Tierhaltung zu ergänzen und zu verbessern. Mit der Entdeckung von Tausch, Handel, Gewerbe, Geld, Markt, Stadt, Staat, Arbeit, Industrie, Fabrik, Verwaltung und Büro verschwand die Selbstversorgung weitgehend und wurde durch die Marktversorgung der vielen Konsumenten seitens der differenzierten Produzenten ersetzt, deren Wohl davon abhing, dass sie die von ihnen geschiedenen Verbraucher von der Notwendigkeit und den Vorteilen ihrer Erzeugnisse mit Hilfe von Reklame und staatlichen Normen überzeugten.
Einen Teilaspekt dieser allgemeinen, weltweiten und immer schneller ablaufenden Entwicklung behandelt die zwischen 2013 und 2016 an dem Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften der Universität Marburg unter Finanzierung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und Förderung durch die Studienstiftung des deutschen Volkes entstandene, von Christian Kleinschmidt betreute Dissertation des 1989 geborenen Verfassers. Sie gliedert sich in zwei Teile mit insgesamt zehn Abschnitten. Sie betreffen die Anfänge der Verbraucherpolitik in dem besetzten Westdeutschland zwischen 1945 und 1949, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherpolitik zwischen Agrarprotektionismus und Hausfraueninteressen in der frühen Bundesrepublik, die Wirtschafts- und Verbraucherpolitik an dem Beginn des Wirtschaftswunders, die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände von 1953, Verbraucheraufklärung, Informationsmodell und Take Off der Konsumgesellschaft, Koordinierung wider den verbraucherpolitischen Wildwuchs, Gründung der Verbraucherzentralen (1957-1962), Gründung der Stiftung Warentest (1964) als verbraucherpolitischen Katalysator, den Take Off im Konsumentenregime ab der Mitte der 1960er Jahre und den Weg von ad-hoc-Maßnahmen zu der „Verbraucherpolitik aus einem Guss“, wobei der angehängte Zeitstrahl mit dem 1946 entstandenen Plan der Vereinigten Staaten von Amerika für Consumers Advisory Councils in ihrer Besatzungszone von 1946 einsetzt und mit der Zeitschrift Ökotest von 1985 endet.
Ausschlaggebend für die Untersuchung waren nach dem Verfasser die Frage nach der Rolle von Politik in der sich entfaltenden Konsumgesellschaft Westdeutschlands, die Lücken der bisherigen konsumhistorischen Forschung sowie die Geschichtsvergessenheit der gegenwärtigen Verbraucherpolitik. Unter dieser Zielsetzung kann der Verfasser auf der Grundlage archivalischer Quellen zeigen, dass das komplexe Spiel regierungspolitischer und zivilgesellschaftlicher Akteure seit 1945 zu der noch deutlich erkennbaren Ausrichtung des Konsumtionsregimes auf wenige zentrale Fremdorganisationen von Verbraucherinteressen und deren starker Prägung durch Ministerialbürokratie und Regierungspolitik führte. Dadurch macht die vielfältige, interessante Untersuchung den verbraucherpolitischen Wildwuchs der Anfangsjahre ebenso besser verständlich wie das verbesserte Konsumtionsregime der anschließenden Zeit.
Innsbruck Gerhard Köbler