GötzvonOlenhusenPierothrechtundamerikanische20180502 Nr. 16693 ZIER 8 (2018) 00. IT

 

 

Pieroth, Bodo, Recht und amerikanische Literatur. Von James Fenimore Cooper bis Susan Glaspell. Beck, München 2017. 310 S. Besprochen von Albrecht Götz von Olenhusen. ZIER 8 (2018) 00. IT

 

Welche Grund-Fragen, welche schlüssigen Antworten liefert das Recht, das uns in der us-amerikanischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts begegnet? Bodo Pieroth, prominenter Universitätslehrer und Kommentator im öffentlichen Recht, stellt 14 in Meisterwerken verarbeitete oder auf rechtliche Themen Bezug nehmende „Fälle“ vor. Die Antworten fallen namentlich im Kontext ihrer Entstehungszeiten so unterschiedlich aus wie die fiktiven Protagonisten, ihre Orte und historisch-gesellschaftlichen Situationen selbst.

 

Das Verhältnis des Einzelnen zum Staat bildet nach dem Ansatz des Verfassers die Klammer für die Auswahl des ersten Teils. Subjektiv und different sind manche Perspektiven des Autors, der eigens prägnante Passagen der Romane und stories glänzend übersetzt hat. Eine frühere Sammlung von Schiller bis Martin Walser hatte deutsche Werke in den Mittelpunkt gestellt.

 

Die weit ausgreifende Analyse von Coopers denkwürdigem Roman „Die Ansiedler“ (1823) demonstriert, wie nicht nur rechtliche Themen und Konflikte in ihrer Ära aufgezeigt werden, sondern fragt auch nach den „Rechtswirkungen“. Die ideologiekritischen Tendenzen schließen die früheren Antworten des „Naturrechts“ ein, messen sie dazu meist mit der Elle des modernen Rechts.

 

Das methodische Dilemma, das literarisch-fiktionale Frage- und Antwort-Spiel a posteriori zu betrachten und die Realitäten künstlerischer Felder mit den Maßstäben eines ganz anderen Feldes, des juristischen, zu konfrontieren, kann die jeweilige Autonomie aus dem Blick verlieren lassen : Denn nicht zwingend offenbaren sich dabei jeweils das „richtige Recht“, die gerechte Antwort, die treffende Subsumtion und legalistisch akzeptable Entscheidung. Wenn Cooper ein „wahrheitsgetreuer Blick auf die gesellschaftlichen Zustände“ gelingt, aber den Großgrundbesitz legitimiert, muss er damit „rechtlich folgenlose Literatur“ geschaffen haben? Und welche Folgen darf man von Kunst und Literatur erwarten oder beanspruchen?

 

Mit „Früchte des Zorns“ (John Steinbeck, 1931) wird das kapitalistische System angeklagt. Pieroth ordnet diese Art von Literatur unter „Staatsversagen“ ein, zieht aber den Terminus „Politikversagen“ vor. Berühren die rechtlichen Defizite der Ära den Roman als Literatur? Sollte man überhaupt , es sei denn zu Ausbildungszwecken, solche Kunst mit der Judikatur des Supreme Court oder des Bundesverfassungsgerichts in Beziehung setzen?

 

In Dashiell Hammets berühmtem Detektivroman „Red Harvest“ (1929) soll der Schnüffler, der „Op“, als „Hilfsorgan der Rechtspflege“ gelten, nicht für eine politische Aussage oder einen „Lösungsweg“, dennoch trotz seiner massiven Rechtsbrüche „ethisch“ für Recht und Ordnung einstehen. Kann man diese grandios erzählte „Säuberung“ einer korrumpierten Stadt aber wirklich als Plaidoyer für Systemstabilisierung und status quo verstehen? Literarische „Realität“ schert sich kaum einmal um Gesetzesbrüche oder Vertragsverstöße, hat mit Konsequenzen auf Staatsversagen weniger zu tun. Hammet spitzt für seine atemlose story die sozialen Gegensätze in seinem fiktiven „Poisonville“ gewaltsam zu. Seine nüchtern-hartentschlossene Sicht auf die Funktionen von Macht, krasse Missachtung von Normen, die Hauptperson des „Op“ inclusive, die Portraits politischer Intrige bilden einen radikalen Vorgeschmack für den filigraner konzipierten Roman „Der Malteser Falke“. Sein Thema ist recht eigentlich nicht „das Recht“, eine Literatur mit „Folgen“, sondern ein Individuum, das in einer konkreten Situation mit ihr auf charakteristische, auf seine Art fertig wird, auch wenn ihm am Ende sein Firmenchef „die Hölle heiß“ macht.

 

Der fatale Rechtsgehorsam in seiner Widersprüchlichkeit wird in „Der scharlachrote Buchstabe“ (1850) zum Thema. Obwohl sich die Grenzen des Rechts seit dem 19. Jahrhunderts verschoben haben, bleibt das Werk in seinen Grenzen hohe Literatur. Ungehorsam gegen rassistische Gesetze (bei Mark Twain) wird subtil untersucht. Die vielschichtige, auch rechtlich tiefgründige Situation im Ausnahmezustand (J. M. Coetze, Warten auf die Barbaren, 1980) ist eine Referenz auf Aporien und mehrdeutige Positionen vor dem Hintergrund der südafrikanischen Politik

 

Die Rolle des Einzelnen vor Gericht wird im zweiten Teil der Sammlung konkret. Auch Jack London kommt es in seiner sozialkritischen und rechtskritischen, mit Absurditäten prall gefüllten Erzählung weder auf richtiges Recht noch auf zutreffende Lösungen an. Das Recht liefert fast nur Requisiten und Ornamentik. Die story kommt, da sie schlecht ins Raster passt, nicht sonderlich gut weg, so wie Faulkners „Tomorrow“ (1940), lange unterschätzt, das rechtliche Problem nicht ideal demonstriert. Denn im Mittelpunkt stehen die Untrennbarkeit von gesellschaftlichen Strukturen und Gefühlen. Melville, Henry Miller, Malamud und Susan Glaspell (ihre Geschichte „Trifles“ - 1917 - dient Schlink zu einer sensiblen Analyse des unterschiedlichen Blicks von Männern und Frauen) liefern weitere eindrucksvoll präsentierte Vorlagen.

 

Es lohnt eine kritische Auseinandersetzung mit den von Pieroth tiefschürfend und gelehrt angebotenen Interpretationen. Umgekehrt hat etwa Jörg Schönert (z. B. Erzählte Kriminalität, 1991, Kriminalität erzählen, 2015) von der literaturwissenschaftlichen Seite prominente Gegenstücke des Rechtsgebiets betrachtet. Pieroths exzellent ausgewählte Sammlung liefert ebenso reiches Material für interdisziplinäre Kooperation. Der Band wird durch treffliche Kurzbiographien, reiche literaturwissenschaftliche Referenzen und ein Namensregister und Sachregister ergänzt.

 

Düsseldorf                                                     Albrecht Götz von Olenhusen