Peters, Verena, Der „germanische“ Code civil. Zur Wahrnehmung des Code civil in den Diskussionen der deutschen Öffentlichkeit (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 95). Mohr Siebeck, Tübingen 2018. XVI, 276 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Nach dem allgemeinen Wissensstand der Gegenwart lebten vor 2000 bis 3000 zwischen Skandinavien und dem Mittelmeer Römer und Germanen, von denen die Römer ab der zweiten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrtausends zu Schrift, Macht und Recht kamen, während die nördlich von ihnen lebenden Germanen bis zu der allgemeinen Völkerwanderung in ihren hergebrachten, in den einzelnen Gegebenheiten nicht näher bekannten Umständen verharrten. Seit 375 n. Chr. drangen sie unter dem Druck der Hunnen allerdings mehr und mehr in das hochzivilisierte weströmische Reich ein und lösten wie etwa der Franke Chlodwig 486 den weströmischen Statthalter Syagrius die Römer als Machthaber in der bisherigen Provinz Gallien ab. Seit ab 1804 durch Napoleon das Recht Frankreichs aus der südlichen Hälfte des tradierten geschriebenen (römischen) Rechtes und der nördlichen Hälfte des von den Franken beeinflussten Rechtes der coutumes zu einer einzigen Einheit in fünf naturrechtlich geprägten Codes zusammengefasst wurde, stellt sich auf dieser Grundlage die Frage des „germanischen“ Code civil.

 

Ihr geht die 1985 geborene, in Köln und Paris in der Rechtswissenschaft ausgebildete, nach der ersten juristischen Staatsprüfung des Jahres 2010 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an dem Institut für neuere Privatrechtsgeschichte, deutsche und rheinische Rechtsgeschichte der Universität Köln tätige Verfasserin, in ihrer von Hans-Peter Haferkamp betreuten, in dem Wintersemester 2015/2016 von der juristischen Fakultät Universität Köln angenommenen Dissertation sorgfältig nach. Dabei unterscheidet sie nach einer Einleitung über Fragestellung, methodische Vorgehensweise, Entstehung und Inhalt des Code civil, Zivilrechtskodifikation und Symbol, den Code civil in Deutschland sowie die Akteure des Diskurses und die Entwicklung der Begriffe germanisch und deutsch acht Sachkapitel. Sie betreffen den germanischen Code civil als eine Randthese zur Zeit des Rheinbunds, die Zäsur durch die Befreiungskriege, die wachsende Verbreitung ab 1841, die endgültige Etablierung in dem deutschen Kaiserreich, die Abgrenzung von Frankreich auf Grund des ersten Weltkriegs, den Einfluss der Friedenspolitik an dem Ende der 1920er Jahre, die Vereinnahmung durch die nationalsozialistische Ideologie und die schleichenden Bedeutungsverluste nach 1945.

 

In ihrem überzeugenden Ergebnis kann die Verfasserin feststellen, dass die grundsätzliche Idee, dass sich germanische Elemente in dem Code civil finden, erstmals 1808 in Zusammenhang mit der Frage auftaucht, ob der Code civil in Deutschland eingeführt werden sollte, doch spielte das Argument gegenüber dem römischrechtlichen und naturrechtlichen Charakter des Textes nur eine untergeordnete Rolle. Nach einer Veröffentlich Heinrich Zöpfls von 1841 wurden germanische Elemente in dem Code civil dagegen allmählich zu einer als sicher vorgetragenen Erkenntnis. Gegenüber vielen ideologiegeprägten Beiträgen während der nationalsozialistisch beherrschten Zeit verschwand das Bild aber wieder Stück für Stück, so dass nun die revolutionsbedingten Inhalte  des Code civil und eine historische Modernisierungsfunktion in dem Vordergrund des Interesses stehen.

 

Unabhängig davon, wie doch der Anteil an germanischem Recht angesetzt wurden, stammten die als Beispiele angeführten Rechtsinstitute fast immer aus dem Familienrecht (z. B. Vormundschaft des Ehemanns und Vaters) und Erbrecht (Erbanfall) sowie in geringerem Ausmaß aus dem Sachenrecht (gutgläubiger Erwerb). Insgesamt kann die Verfasserin die Ausführungen zu germanistischen Elementen in dem Code civil als stark von den politischen Umständen geprägt erweisen. Dementsprechend konnte der germanisch-deutsche Code civil die Grundlage sowohl für Appelle an die Völkerfreundschaft wie auch für Beiträge zu Rasseerneuerung sein, so dass, wie die Verfasserin in einem Ausblick anführt, vereinzelt sogar die islamische Scharia als Grundlage des heutigen französischen Rechtes angesehen werden kann.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler