Matti, Siegfried/Pirhofer, Gottfried/Gangelmayer, Franz J., Wien in der nationalsozialistischen Ordnung des Raums – Lücken in der Wien-Erzählung (= VWI Studienreihe 3). New Academic Press, Wien 2018. 227 S., Abb. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Als Wien auf keltischer bzw. römischer Grundlage nahe dem Einfluss der Wien in die mittlere Donau um die später nach Christus bestimmte Zeitenwende gegründet wurde, sah niemand seine gegenwärtige Bedeutung voraus. Spätestens als die Babenberger als die neuen Herzöge des für sie errichteten Herzogtums Österreich dort einen Sitz nahmen, war der Aufstieg jedoch wahrscheinlich. Mit dem von dem 18. 9. 1814 bis zu dem 9. 6. 1815 dort tagenden so genannten Wiener Kongress, auf dem wie wichtigsten Mächte Europas nach dem Untergang Napoleons ihren Kontinent neu zu ordnen trachteten, erlangte es gesamteuropäische Bedeutung.
Zwar verließ der von Wien enttäuschte Adolf Hitler die Stadt nach wenigen Jahren zu Gunsten Münchens, doch war er durch seine Herkunft mit Österreich zeit seines Lebens emotional tief verbunden. Dementsprechend versuchte er nicht nur den 1919 von den alliierten Siegermächten des ersten Weltkriegs abgelehnten Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich insgesamt, sondern bemühte sich auch um detailliertes Gestalten an unterschiedlichen Stellen. Diesem Unternehmen widmet sich das vorliegende in dem Rahmen des von dem Bundesministerium Bildung, Wissenschaft und Forschung, von Wien Kultur, von dem Bundeskanzleramt, von Wien! voraus, der Stadt Wien und dem ZukunftFonds der Republik Österreich geförderte, durch ein Vorwort des Bürgermeisters Ludwig und der Vizebürgermeisterin Vassilakou eröffnete Werk.
Zu Beginn leitet Gottfried Pirhofer in den in 12 Abschnitte gegliederten Band unter einem Leitbild der Stadtfeindschaft ein. In der Folge werden als Themen behandelt die Raumordnung in der Mission der nationalsozialistischen Raumpolitik, Groß-Wien als Operationsbasis, die raumpolitischen Leitbilder, die nationalsozialistische Wirtschaft, die nationalsozialistische Akteursplattform die Südosteuropa-Gesellschaft, die nationalsozialistischen Planungsinstitutionen, die Reichsautobahnplanung in dem Konflikt divergierender Raumanprüche, die Grenzen der Wasserstadt, die Widersprüche der Bahnnetzplanung, Wien als Luftdrehkreuz des Südostens und gegen Ende die Aufbietung letzter Ressourcen sowie schließlich ein Nachhall in dem Wiederaufbau. In ihrem überzeugenden Ergebnis können die Verfasser unter dem besonderen Einsatz des derzeit nicht in dem Aktivstand der Universität Wien geführten Urbanisten Gottfried Pirhofer nicht nur zeigen, dass akademische Eliten lange vor 1938 bereits Leitbilder entwickelt hatten, die der nationalsozialistischen Vorstellungen einer aufgelockerten, entmischten, autogerechten Stadt entsprachen, sondern auch darlegen, dass die urbanistischen, in vielen Konfliktlagen mit anderen Zielsetzungen durchzusetzenden Ziele des Nationalsozialismus noch in dem Wiederaufbau nach dem Ende des zweiten Weltkriegs von Bedeutung blieben.
Innsbruck Gerhard Köbler