Liedloff, Julia, Föderale Mitwirkung an den Unfallversicherungsgesetzen im Kaiserreich (1884-1911) (= Föderalismus in historisch vergleichender Perspektive 4). Nomos, Baden-Baden 2017. 443 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Der Grundsatz, dass der Herr den Fall spürt, wurde mit der Industrialisierung seit dem 18. Jahrhundert und der Entstehung vieler Arbeitnehmer immer fragwürdiger, weil immer mehr Menschen einen Unfall als fremdbestimmte Arbeiter erlitten. Eine in diesem Bereich des Tätigwerdens auch für andere mögliche Gefährdungshaftung des Arbeitgebers, in dessen Interesse die Arbeitnehmer gefährliche Arbeiten durchführten, war aber unter Geltung des Verschuldensprinzips des 19. Jahrhunderts schwer zu verwirklichen. Außerdem waren auch Rechtsstreitigkeiten zwischen wirtschaftlich starken Arbeitgebern und wirtschaftlich schwachen Arbeitnehmern problematisch.
Diese Interessenlage nutzte Reichskanzler Otto von Bismarck in seiner Abwehr des Vordringens der sozialistischen Parteien unter den Wählern des von ihm geleiteten zweiten Reiches dahingehend, dass er durch die kaiserliche Botschaft von dem 17. November 1881 die in dem Grundsatz auf dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung aufbauende Sozialversicherung vorschlug, zu der auch die (soziale) Unfallversicherung zählte, mit der sich die 1980 geborene, in Aachen in Geschichtswissenschaft, Politikwissenschaft und anglistischer Literaturwissenschaft ausgebildete Verfasserin in der größtenteils während ihrer dreijährigen wissenschaftlichen Tätigkeit an dem früheren Institut für europäische Regionalforschungen der philosophischen Fakultät der Universität Siegen in dem Rahmen des übergeordneten Projekts Integrieren durch Regieren - Funktionsweisen und Wandel des Föderalismus in dem Deutschen Reich zwischen 1871 und 1914 entstandenen vorliegenden Untersuchung beschäftigte. Diese Arbeit gliedert sich nach einer Einleitung über die thematische Eingrenzung, das methodische Vorgehen, Forschungsstand und Quellenlage sowie Aufbau in sechs Sachkapitel. Sie betreffen das politische System des Kaiserreichs, die staatliche Sozialpolitik, das Unfallversicherungsgesetz von dem 6. Juli 1884, die Revision der Unfallversicherungsgesetze in den 1890er Jahren, die Reichsversicherungsordnung des Jahres 1911 und analysierend die politische Entscheidungsfindung n dem Beispiel der Unfallversicherungsgesetze von 1880 bis 1911.
In dem Ergebnis kann sie ansprechend feststellen, dass die Integration der Einzelstaaten in das Reich in diesem politischen Regelungsbereich verhältnismäßig geschmeidig verlief. Nach der Verfasserin erfolgte die Einbindung der Einzelstaaten in die Politik des Reiches in der Unfallversicherung in erster Linie über eine Verwaltungsverflechtung auf Reichsebene. Den sachlichen Einfluss der Einzelstaaten auf die Reichspolitik stuft die Verfasserin dabei überzeugend deswegen als gering ein, weil die Grundfragen von der Reichsleitung entschieden wurden.
Innsbruck Gerhard Köbler