Karner-Herbrich, Sophia, Geistiges Eigentum an Verbrechen (= Schriften zum geistigen Eigentum und zum Wettbewerbsrecht 94). Nomos, Baden-Baden 2017. 433 S., zugleich Diss TU Dresden 2017. Besprochen von Albrecht Götz von Olenhusen.
Die mediale Vermarktung von Straftaten wirft eine Reihe komplexer Probleme auf. Bei dem Fall des „Kannibalen von Rotenburg“, um ein sehr bekanntes Beispiel zu nennen, ging es darum, dass der Täter seine Lebens- und Kriminalitäts-Geschichte selbst möglichst exklusiv zu nutzen gedachte. Der Casus zeigt mit allen seinen grauslichen und rechtlichen Facetten viele der unterschiedlichen Sichtweisen auf. Persönlichkeitsschutz des Sexualitäts- und Intimbereichs einerseits, öffentliches Interesse und Kunst- und Berichterstattungsfreiheit andererseits standen bei dem Film zur Debatte, der überdies noch als sog. etwas mystisch angehauchter Horrorfilm mit märchenhafter Konnotation schon im Titel figurierte.
Die Rechtsprechung hat sich hier bis hinauf zu dem Bundesverfassungsgericht nach einigen unterschiedlichen Urteilen letztlich für die Filmfreiheit entschieden – und dies wohl auch durchaus zu Recht. Andererseits geht es um den Schutz von Verbrechensopfern gegen Eingriffe in ihr Persönlichkeitsrecht, aber auch um Ansprüche auf Erlöse an Vermarktungsergebnissen des Täters. Die Gemengelage von Persönlichkeitsrechten, Namensrechten, Exklusivansprüchen, aber auch das postmortale Persönlichkeitsrecht und die Medienfreiheiten stehen auf dem Prüfstand. Historische und aktuelle Kriminalfälle haben zur Lösung von Konfliktlagen reiches Anschauungsmaterial geliefert.
In der hier anzuzeigenden Dissertation (Betreuer: Horst-Peter Götting, Dresden) wird das gesamte Feld aufs eindrücklichste ausgeleuchtet. Mit den Fällen „Lebach“, „Lengede“, „Böttcher-Weimar“, RAF-Urteile, „Gäfgen-Kommissarin Lucas“ und „Contergan-Film sind nur einige der Stichworte und herausragende Entscheidungen angesprochen. Auch die filmische Auswertung des Falles „Kampusch“ hat vor allem in jüngerer Zeit die widersprüchlichen Konfrontationen deutlich aufgezeigt
Es geht meist um die Vermarktung durch den Täter selbst, der, oft mithilfe von Anwälten oder Dritter, seine Verteidigung oder seine Zeit in oder nach der Haft finanzieren möchte.
Die Verfasserin entwickelt ein interessantes eigenes Prüfungsprogramm, das sie aus den §§ 22, 23 KUG entwickelt. Sie entnimmt aus dem normativen Befund die Abwägungsmomente zwischen den Interessen von Tätern und Opfern. Dabei geht es u. a. darum, dass der Täter in den Konsequenzen der Medienberichterstattung oder durch die Ausmünzung der Straftat nicht ein weiteres Mal die „Bestimmungsmacht“ über das Opfer gewinnen soll und darf. Eine noch komplexere Lage ergibt sich jedoch, wenn die Protagonisten des medialen Interesses sog. public figures sind oder durchs Tatgeschehen zu solchen geworden sind.
Die neueren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu dem abgestuften Schutzkonzept des deutschen Rechts mit seiner Verlagerung von dem obsoleten Begriff der Person der Zeitgeschichte zu dem Zeitgeschehen, in welchem Bilder auftauchen, werden auch in diesen Fallkonstellationen der Kriminalberichterstattung oder Tätermemoiren die Frage aufwerfen, wie weit der Schutz der Privatsphäre zu gehen hat. Der Fall Kachelmann hat auch mit problematischen Urteilen des Bundesgerichtshofs zu der Verdachtsberichterstattung und der Verbreitung intimer sexueller Details (siehe den Fall Kachelmann vs. BILD) das ganze Ausmaß der Konfliktzonen aufgezeigt. Hier wurde von dem Bundesgerichtshof zunächst sehr ausführlich in seinem Urteil von 2013 der Persönlichkeitsschutz dargelegt, um dann am Ende die Klage an der angeblich fehlenden Wiederholungsgefahr scheitern zu lassen. Das Urteil, von den Medien als grandioser Sieg gefeiert, gibt aber den Reportern Steine statt Brot, bürdet ihnen vielmehr neue Risiken auf, wenn sie über in der Verhandlung offen diskutierte Details pro und contra, wie es die Verdachtsberichterstattung verlangt, exakt berichten, um dann nach einem langjährigen Prozess bescheinigt zu bekommen, dass es ihnen an der prophetischen Gabe gefehlt hat, sich lieber zurückzuhalten und die Schere im Kopf zu handhaben, weil eine Betrachtung ex post und ex cathedra zum Nachteil der Medien und ihrer Vertreter ausfällt.
Dass nach ausgiebiger Darlegung des allgemeinen Persönlichkeitsschutzes des angeblichen Täters K. am Schluss die Wiederholungsgefahr entfallen soll, hat unter vielen Juristen, mit denen dieser Casus diskutiert worden ist, nur Kopfschütteln ausgelöst und den Autor dieser Besprechung zu einer Kritik des BGH-Urteils in der UFITA veranlasst.
Folgt man Karner-Herbrich und anderen Autoren stellt sich das Problem, wie die „Sozialpflichtigkeit des medialen Selbstbestimmungsrechts“ graduell neu zu justieren sein wird. Die Akzessorietät der Rechte von Tätern und Opfern bedingt eine korrespondierende Berücksichtigung auch bei den Vermarktungen der jeweiligen Seite oder durch Dritte und der erneuten öffentlichen Befassung mit Personen, Taten, Firmen, Institutionen, die bei historischen Darstellungen von Kriminalität oder aktuellen Berichten eine Rolle spielen.
Das kritikwürdige Opferanspruchssicherungsgesetz von 1998 soll nach der Absicht des Gesetzgebers die privatrechtlichen Ansprüche der Geschädigten sichern. Doch das Gesetz ist faktisch kaum effektiv, es ist auch durch seine befristete Wirkung obendrein noch von geringem Schutz. Daraus ergibt sich auch, dass der Straftäter durchaus legaliter in der Lage ist, zwecks Eigenvermarktung Verträge abzuschließen, die keineswegs gesetzwidrig oder sittenwidrig sein sollen.
Karner-Herbrich behandelt die Konfliktfelder in einer sehr eingehenden, anschaulichen und überzeugenden Art und Weise. Dazu zählt auch die Frage nach einem denkbaren Copyright der Prominenz – also die mediale Selbstdarstellung als persönliche geistige Schöpfung, wie dies bereits von Hannes Oswald-Brügel 2013 untersucht worden ist. Inwieweit sich allerdings hier ein schutzfähiger Grad von Verselbständigung eines Images, eine Verkörperung mit Schöpfungshöhe annehmen lässt, ist eine noch offene Frage.
In der Arbeit wird in punkto Kommerzialisierung einer Straftat ein interessantes eigenes Lösungsmodell entwickelt: Zunächst geht es dabei methodisch um das „ob“ der Vermarktung, dann um deren Beurteilung der Art und Weise wie das geschieht und schließlich um die Prüfung der konkret gewählten Form der Vermittlung (S. 212ff.).
Ein eigener Abschnitt befass sich eindringlich mit einem Rechtsvergleich: die Lage in den Vereinigten Staaten von Amerika wird ausführlich vorgestellt. Sie ist beileibe kein Vorbild für die deutsche Rechtslage. Denn in den USA ist, genau genommen und etwas pauschal gesagt, die Krininalberichterstattung fast ohne Einschränkung, gewissermaßen fast hemmungslos zulässig.
Düsseldorf Albrecht Götz von Olenhusen