Isola, Lisa, Venire contra factum proprium. Herkunft und Grundlagen eines sprichwörtlichen Rechtsprinzips (= Wiener Studien zu Geschichte, Recht und Gesellschaft 6). Lang, Frankfurt am Main 2017. XVI, 515 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Das Recht als von Menschen gebildetes Mittel zu einer möglichst gewaltfreien Lösung von menschlichen Interessengegensätzen beruht in dem Grundsatz auf dem Verstand der damit befassten Einzelnen. Deswegen hat die Übereinstimmung aller ebenso Bedeutung wie bei fehlender Einstimmigkeit aller die Entscheidung etwa einer Mehrheit oder eines Einzelnen. Wenn dabei die Vernunft eine wesentliche Rolle spielen soll, liegt es nahe zu verlangen, dass ihre Umsetzung nicht durch Beliebigkeit, sondern nac Möglichkeit durch Einheitlichkeit geprägt wird.

 

Mit einem Teilaspekt dieser Problematik beschäftigt sich die von Franz-Stefan Meissel betreute, während einer Tätigkeit als Universitätsassistentin angefertigte, in dem Frühjahr 2014 abgeschlossene und in dem Herbst 2014 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien angenommene Dissertation der 1988 geborenen und bis 2010 an ihrer Heimatuniversität in Rechtswissenschaft ausgebildeten und nach der Promotion zuletzt in Linz tätigen Verfasserin. Sie gliedert sich nach einer Einleitung über den Inhalt des Verbots von venire contra factum proprium, die Entwicklung des Verbots des Selbstwiderspruchs und den Plan der Darstellung in fünf Abschnitte. Diese betreffen die Literaturgattung der Brocardica, den Grundsatz venire contra factum proprium nulli conceditur in der Brocardica aurea, den Vergleich zu vier anderen legistischen Brocardica (dolum per subsequentia purgari, initium est spectandum, Dunelmensia, Pillius de Medicinas Libellus disputatorius und quaestiones), Argumenta pro bzw. contra in den Brocardica aurea sowie zusätzliche argumenta in den Brocardica dolum sowie initium.

 

In sorgfältigem Studium der Quellen kann die Verfasserin in ihrem mit einer weitgehend offenen Graphik Veronika Dirnhofers geschmückten Ergebnis zeigen, dass das auf der Grundlage des Fallrechts des Altertums von den Juristen des Hochmittelalters gebildete Verbot des Selbstwiderspruchs eine Verbindung mehrerer Grundsätze bzw. die Harmonisierung von verstärkenden und einschränkenden Gedanken ist. Widersprüchliche Argumente werden dabei durch Unterregeln und Einzelwertungen konkretisiert. Hierauf könnte und sollte nach der ansprechenden Ansicht der Verfasserin zusammenwirkend eine Grundregel allen europäischen Rechtes aufgebaut werden.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler