KöblerHentschelwiedernichtsneuesüberHitler20181114 ZIER 8 (2018) 72. IT

 

 

Hentschel, Volker, Wieder nichts Neues über Hitler – aber alles, was man über ihn weiß (und wert ist, gewusst zu werden) auf 248 Seiten. Aschendorff, Münster 2018. 248 S., Abb. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Der in Braunau an dem Inn an dem 20. April 1889 als Sohn des Zollamtsoberoffizials Alois Hitler (bis 1876 Schicklgruber) geborene Adolf Hitler ist der weltweit bekannteste Österreicher und Deutsche. Er enthielt der Allgemeinheit seine Person hinter seinen Reden und Taten nach Kräften vor, indem er kein Tagebuch führte, fast keine Briefe schrieb, Gespräche und Besprechungen unter seiner Beteiligung nur zeitweise und ausnahmsweise protokollieren ließ, vor seiner Selbsttötung befahl, alles, was sonst Auskunft über ihn geben könnte, zu vernichten, sein einziges Buch mit Unwahrheiten füllte, in seinen Reden Wahrheit und Lüge vermischte und in seinen Monologen in dem Führerhauptquartier ein wirklichkeitsfremdes Bild zeichnete. Gleichwohl kann nach dem Autor ein einzelner Mensch die zu Hitler seit 1945 geschriebene Literatur in ihrer ganzen Fülle nicht mehr überschauen, zur Kenntnis nehmen oder verwerten, obwohl seit vielen Jahren immer mehr Biographien mit wissenschaftlichen Ansprüchen erschienen sind.

 

Demgegenüber erhebt der in Aue in Sachsen 1944 geborene, nach mittlerer Reife als Industriekaufmann und nach Ablegung des Abiturs in Hamburg in Betriebswirtschaftslehre sowie Wirtschaftsgeschichte und Sozialgeschichte ausgebildete, 1974 mit einer Dissertation  über die deutschen Freihändler und den volkswirtschaftlichen Kongress 1858 bis 1885 promovierte, als wissenschaftlicher Assistent in Heidelberg 1978 mit der Arbeit Wirtschaft und Wirtschaftspolitik im wilhelminischen Deutschland – organisierter Kapitalismus und Interventionsstaat für neuere Geschichte habilitierte, 1980 für Wirtschaftsgeschichte und Sozialgeschichte an die Universität Mainz berufene, sich seit 1978 in dem Verlag Droste mit Adolf Hitler sowie an verschiedenen weiteren Stellen mit Ludwig Erhard, der deutschen Sozialpolitik, Japans Weg zur wirtschaftlichen Weltmacht, Preußens streitbarer Geschichte und weiteren Themen beschäftigende Verfasser den Anspruch, in der vorliegenden Darstellung wieder nichts Neues über Hitler zu schreiben, aber alles, was man über ihn weiß (und wert ist, gewusst zu werden) kurz und gut darzulegen sowie eine Betrachtung der land- und weitläufigen Hitler-Biographik zu bieten. Dazu bildet er insgesamt 15 Kapitel. Sie betreffen eine Betrachtung der Hitler-Biographik, die Zeit vor dem Eintritt in die Politik, von dem Anschluss an die Deutsche Arbeiterpartei bis zu der Haft in Landsberg, Selbstverständnis und Weltverständnis – politischer Neubeginn – Hitler persönlich –, von dem bizarren Rand in das Zentrum des politischen Geschehens, auf dem Weg ins Kanzleramt, Umsturz, außenpolitische Anfänge und Vollendung der Hitler-Herrschaft, von der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht bis zu dem „Anschluss“ Österreichs, über die Annektierung der Tschechei in den Krieg, Kriegsführung (1) – vom Überfall auf die Sowjetunion bis zur Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten von Amerika, Kriegführung (2) – von der Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten bis zu der Niederlage bei Stalingrad, Kriegführung (3) von der Konferenz in Casablanca bis zu der Invasion in der Normandie sowie schließlich den Untergang.

 

In diesem Zusammenhang behandelt der Verfasser in seinem Eingang vor allem die Hitlerbiographien (und anderen Werke) Alan Bullocks (1952, im Einzelnen ein wenig korrekturbedürftig, im Ganzen richtig, nach Inhalt und Machart Prototyp der seitdem  landläufigen Hitlerbiographie), Joachim Fests (1973, literarisch die beste, ökonomisch die erfolgreichste), Sebastian Haffners (1983), Marlis Steinerts (1999, redundant, amorph, fehlerhaft), Ian Kershaws (1998/2000, sowie zehn Jahre später kürzer, insgesamt „ein Ausbund an Abseitigem“), Ralf Georg Reuths (2003, ideologisch verfänglich, inhaltlich unnütz, literarisch wertlos), Volker Ullrichs (2013), Peter Longerichs (2015), Rainer Zitelmanns (1987), Manfred Koch-Hillebrechts (1999) sowie Wolfram Pytas (2015, „keine neuen Erkenntnisse in einer Vielzahl unsinniger Sätze“, „wer so schreibt und denkt, er ist nicht ernst zu nehmen“). Demgegenüber will der Verfasser nur verzeichnen, was Hitler wirklich erlebte und unternahm, was dem sachlich zugrunde lag und was aus seinem Verhalten und Handeln folgte, beschränkt auf das, was wert ist gewusst zu werden und damit unter Weglassung des menschlich und politisch Gehaltlosen und Gleichgültigen. Er schrieb sein Werk in der Überzeugung, dass Länge (als solche) ein literarisches Laster ist und der Anstand es gebietet, Unwesentliches zu vermeiden, doch lässt sich auch über Wesentlichkeit und Unwesentlichkeit bekanntlich immer streiten, können auch kleine Einzelheiten in den umfassenden Annalen der menschlichen Geschichte als solche einen Wert haben und könnte schließlich auch das Publikum auf dem Markt entscheiden, ob es die klare nüchterne Kürze oder die geheimnisumwitterte Entschlüsselung bezüglich eines besonderen Individuums auf seinem Weg von einem Kunstaspiranten über einen Meldegänger. Propagandaredner, Parteivorsitzenden und Reichskanzler zu einem menschenfeindlichen Massenmörder, der in dem Namensverzeichnis nicht einmal erwähnt wird, bevorzugt.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler