Heinemeyer, Christian, Zwischen Reich und Region im Spätmittelalter. Governance und politische Netzwerke um Kaiser Friedrich III. und Kurfürst Albrecht Achilles von Brandenburg (= Historische Forschungen 108). Duncker & Humblot, Berlin 2016. 746 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Das Zusammenleben der Menschen besteht von den ersten Anfängen an auch in dem Streben nach Macht über Mitmenschen. Aus ihm ist in dem Laufe der Geschichte der Staat erwachsen, bei dem es sich nur fragt, welchem der Beteiligten jeweils der Gewinn der wichtigsten Entscheidungsbefugnisse gelingt. War hierfür in den Anfängen wohl vor allem die körperliche Kraft bedeutsam, so haben sich anscheinend allmählich die Gewichte hauptsächlich auf die Möglichkeit des Verstands und der Verbindung verlagert.

 

Einen Teilaspekt in dem weiten Rahmen der deutschen Geschichte behandelt die umfangreiche, von Ellen Widder betreute und in dem Wintersemester 2013/2014 von der philosophischen Fakultät Tübingen angenommene sowie für den Druck geringfügig überarbeitete Dissertation des als wissenschaftlichen Mitarbeiters seiner Betreuerin vielfältig geförderten Verfassers. Sie gliedert sich in insgesamt acht Abschnitte. Diese  betreffen nach einer kurzen Einleitung einen sachkundigen Forschungsüberblick mit Darstellung des eigenen Ansatzes und des analytischen Ausgangspunkts sowie der Eingrenzung des Untersuchungszeitraums und der Beschreibung der verwendeten ungedruckten Quellen (S. 615ff.) und ungedruckten Quellen (S. 617-623), Politiknetzwerke und Governance auf Reichsebene, Politiknetzwerke und Governance im außenpolitischen Kontext, Politiknetzwerke und Governance auf regionaler und lokaler Ebene, Politiknetzwerke und Governance in reichstädtischem Kontext, Elemente politischer Netzwerke zwischen 1470 und 1475 sowie Vergleiche und Folgerungen mit einer abschließenden Zusammenfassung der Ergebnisse in insgesamt 32 Punkten.

 

Ziel der Forschungsleistung des Verfassers war es, mit modernen Methoden politisches Handeln und dessen Rahmenstrukturen zwischen 1470 und 1475 auf verschiedenen Ebenen des Heiligen römischen Reiches möglichst genauer zu erfassen. In seinem Gesamtergebnis gelangt er ansprechend zu der Ansicht, dass sich das politische Handeln dieser Zeit mannigfaltiger, widersprüchlicher und stärker an den tatsächlichen Notwendigkeiten der jeweiligen Lage ausgerichtet vollzog als an gesetzten theoretischen Zielen. Insgesamt gelingen dem Verfasser in dem Rahmen seines auf Modernität ausgerichteten Modells vielfältige neue Einzelerkenntnisse, auch wenn Spätmittelalter und Governance keine natürliche Einheit bilden und Netzwerk nur ein moderner Name für eine zeitlose Form gemeinschaftlichen menschlichen Machtstrebens ist.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler