Harbecke, David, Modernisation through Process. The Rise of the Court of Chancery in the European Perspective (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte = Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main 309). Klostermann, Frankfurt am Main 2018. XIV, 303 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Court of Chancery ist das Gericht des Kanzlers (chancellor) des englischen Rechtes. Es geht darauf zurück, dass der zunächst geistliche Kanzler schon in dem 13. Jahrhundert Bitten hilfesuchender Engländer an den König hinsichtlich der Möglichkeit der Bildung neuer Klageformeln begutachtet und in dem 15. Jahrhundert in Einzelfällen Rechtsschutz gewährt, wenn das common law zu unangemessenen Ergebnissen führt. Die seit 1529 tätigen weltlichen Kanzler führen das fort und begründen bald ein System anerkannter Sätze des positiven Rechtes, das an der Billigkeit (equity) ausgerichtet ist.

 

Die vorliegende Untersuchung ist die von Albrecht Cordes betreute, von ersten Überlegungen in dem Sommer 2012 ausgehende, in dem Rahmen des LOEWE Research Focus „Extrajudicial and Judicial Conflict Resolution“ bearbeitete und in dem Ergebnis an dem 2. November 2015 verteidigte und von dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Frankfurt am Mai angenommene Dissertation des inzwischen als Rechtsanwalt tätigen Verfassers. Sie geht davon aus, dass die zahlreichen bisherigen Untersuchungen über die geschichtliche Entwicklung des Court of Chancery die Besonderheit der englischen Entwicklung nur unzureichend erklärt haben. Seine eigenen Überlegungen sind nach einer kurzen Einführung in sieben Kapitel über a short history of the Court of Chancery, Literature of the Court of Chancery, Sources, the Chancery process in the 15th century, Roman-canon law origins of the Chancery process, Functions of the Court of Chancery und über the rise of the Court of Chancery in the European Perspective (Grand Conseil de Malines, Court of Session, Reichskammergericht/Reichshofrat, Parlement de Paris) gegliedert.

 

Dabei will der Verfasser durch eine Untersuchung der spätmittelalterlichen Quellen aus der modernen Rechtstheorie und eine Einordnung der Entwicklung in einen weiteren europäischen Kontext auf der Grundlage seiner auf den Seiten 293-303 dargelegten Quellen und Literaturwerke ein besseres Verständnis der Entwicklung erzielen. Auf dieser Grundlage stuft er in dem Vergleich mit Schottland, den Niederlanden, dem Heiligen römischen Reich und Frankreich die Lage Englands als einzigartig ein, weil nur hier die Gerichtsbarkeit bereits in common-law-Gerichten mit besonderer Autorität zusammengefasst worden war, wobei Schottland dem noch am nächsten kam. Den besonderen Erfolg des Court of Chancery kann er von daher ansprechend mit der Anpassung des römisch-kanonischen Verfahrensrechts an die Notwendigkeiten des spätmittelalterlichen England in Richtung auf eine stärkere Berücksichtigung der Parteien als Lösung bestehender Probleme erklären, wobei er auch besonders darauf hinweisen kann, dass der besondere Erfolg des europäischsten der englischen Gerichte eine dauerhafte Aufteilung von Gericht und Recht bewirkte, die kontinentalen Juristen bis in die Gegenwart fremdartig erscheint.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler