Hainbuch, Dirk, Das Reichsministerium für Wiederaufbau 1919 bis 1924 – Die Abwicklung des Ersten Weltkrieges – Reparationen, Kriegsschäden-Beseitigung, Opferentschädigung und der Wiederaufbau der deutschen Handelsflotte. Lang, Frankfurt am Main 2016. 567 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

 

Das Reichsministerium für Wiederaufbau, das vom 7. 11. 1919 bis zu seiner Auflösung durch eine Verordnung vom 8. 5. 1924 bestand, war primär zuständig für den Wiederaufbau insbesondere der durch den Stellungskrieg verwüsteten Gebiete Belgiens und Frankreichs (10 Departemente) sowie allgemein für die wirtschaftliche und technische Erfüllung des Versailler Friedensvertrags, der am 10. 1. 1920 in Kraft trat. Ferner war das Wiederaufbauministerium zuständig für die Entschädigung und Unterstützung der Flüchtlinge insbesondere aus den Ostgebieten, aus Elsass-Lothringen und aus den Kolonien. In der relativ breiten, instruktiven Einleitung stellt Hainbuch zunächst den Forschungsstand und die Quellensituation dar. Nach einer Zusammenstellung von 1956 sind die Lücken in der Quellensubstanz für die nachgeordneten Behörden und Dienststellen des Ministeriums, dessen unmittelbarer Aktenbestand weitgehend erhalten geblieben ist, sehr erheblich (S. 44f.). Informativ sind die Abschnitte über den Stellungskrieg auf dem westlichen Kriegsschauplatz und die internen Meinungsverschiedenheiten in der Frage des Wiederaufbaus (S. 46ff., 55ff.). Im ersten Hauptkapitel seines Werks (S. 69-178) befasst sich Hainbuch mit den Institutionen, die während des Krieges und des Waffenstillstands zuständig waren für Fragen der Entschädigung, für Requisitionen und Demontagen in den Kriegsgebieten (Reichsentschädigungskommission), für die Liquidation ausländischer Unternehmungen, für die Treuhandschaft für das feindliche Vermögen und für den Wiederaufbau der Handelsflotte. Hinzu kommen noch die Waffenstillstandsverwaltungsstellen (1918-1919/1920).

 

Im zweiten Hauptteil geht es um die Aufgaben und die Ausgestaltung der Wiederaufbauverwaltung (S. 179-361). Im Mittelpunkt stehen der Aufbau und die Tätigkeit des Wiederaufbauministeriums (S. 280ff.) und des Reichskommissariats zur Ausführung der Aufbauarbeiten in den zerstörten Gebieten (S. 192ff.). Die von deutscher Seite angebotene unmittelbare Beteiligung am Wiederaufbau wurde insbesondere von Frankreich abgelehnt. Stattdessen kam es zu umfangreichen Reparationssachleistungen, deren Durchführung immer wieder auf Schwierigkeiten stieß. De facto war das Wiederaufbauministerium ein „Außenwirtschaftsministerium“ (S. 517), an dessen Auflösung insbesondere das inzwischen erstarkte Auswärtige Amt wesentlich beteiligt war.

 

Im dritten Abschnitt: „Die Entwicklung der ressortierenden Ausführungsbehörden nach der Gründung des Reichsministeriums für Wiederaufbau“ (S. 363-512) behandelt Hainbuch die Tätigkeit der Zurücklieferungskommission, des Kommissars zur Rückführung von Eisenbahnmaterial und der deutschen Kohlenkommission in Essen. Weitere Abschnitte sind gewidmet dem Reichsausgleichsamt (Entschädigung der Flüchtlinge insbesondere aus dem Osten und Elsass-Lothringen), dem Staatskommissar zur Ermittlung von Aufruhrschäden in Oberschlesien, dem Reichskommissar für Auslandsschulden und dem Reichsentschädigungsamt für Kriegsschäden, die Deutsche erlitten hatten. Das Werk wird abgeschlossen mit einer zusammenfassenden Schlussbetrachtung und mit „Biografischen Notizen“ (S. 524ff.) über die wichtigsten mit der Reparation und Entschädigung befassten Personen sowie mit einem Personenregister. Ein detailliertes Inhaltsverzeichnis und ein Sachregister hätten den Inhalt des Bandes im Einzelnen besser erschließen sollen. Mit Recht stellt Hainbuch abschließend fest, dass das Wiederaufbauministerium der „Annäherung an die ehemaligen Kriegsgegner“ gedient habe und bedeutsame Abkommen die „Sachreparationen auf eine neue Ebene politischer und wirtschaftlicher Zusammenarbeit gehoben“ hätten. Auch die Umsetzung der Entschädigungsgesetzgebung sei „ein wichtiger Schritt zur Durchsetzung des Sozialstaats“ gewesen (S. 520 f.), wenn auch infolge der Inflation die tatsächlich verfügbaren Entschädigungssummen außerordentlich niedrig waren. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn Hainbuch die konkrete Tätigkeit des Ministeriums, der Kommissare und Reichskommissionen etwas häufiger anhand von konkreten Beispielen erläutert hätte. Im Überblick über den Forschungsstand ist leider die französische und belgische Literatur kaum berücksichtigt. Die Überblicksdarstellung von Hainbuch ist auch für den Rechtshistoriker von großem Interesse, da die Entschädigungs- und Reparationsverfahren stark verrechtlicht waren. Die grundlegenden Bestimmungen des Versailler Vertrags über die Entschädigung und Reparationen hätten vielleicht noch detaillierter und zusammenfassend dargestellt werden sollen. Insgesamt liegt mit den Untersuchungen Dirk Hainbuchs ein Grundlagenwerk vor, das für die Rechtsgeschichte des Ersten Weltkriegs und dessen Folgenbeseitigung nicht unberücksichtigt bleiben sollte.

 

Kiel

Werner Schubert