Grünstäudl, Georg, Richterauswahl und Richterausbildung im Systemvergleich – Österreich, Deutschland und die Schweiz seit 1945 (= Schriftenreihe zur Justizforschung 16). Stämpfli/Nomos/Verlag Österreich, Bern/Baden-Baden/Wien 2018. XIX, 539 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Richter ist der zu der Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten zwischen mehreren Beteiligten zuständige Mensch, der möglicherweise in der Zukunft zumindest teilweise von einer Maschine abgelöst werden könnte. Seit wann er in der Geschichte entstanden ist, ist zwar nicht sicher bekannt, doch kennen jedenfalls die Hochkulturen des Altertums unter beispielsweise lateinischen oder griechischen Bezeichnungen bereits sachlich den Richter. Das deutsche, mit anderen wohl älteren Benennungen konkurrierende Wort ist seit etwa 765 belegt und könnte durch lateinisch rector beeinflusst sein, wobei in der älteren deutschen Gerichtsverfassung der Richter zwar das Ungerade gerade machen soll, aber dafür nur die Leitung der zuständigen Versammlung zu seiner Verfügung hat, während die inhaltliche Entscheidung über die meist gegensätzlichen Begehren der Parteien die dafür noch nicht beruflich besonders gebildeten merowingischen Rachinburgen oder die karolingischen Schöffen als Gemeinschaft treffen dürfen und müssen.

 

Einen besonderen, grundsätzlich zeitlich bestimmten und dafür örtlich weiter ausgreifenden Teilaspekt der mit der gesamten geschichtlichen Entwicklung des Richters bis zu der Gegenwart verbundenen Fragen behandelt der Verfasser in seiner von Gerald Kohl betreuten und in dem Sommersemester 2017 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät Wien angenommenen und für den Druck nur geringfügig bearbeiteten Dissertation. Sie gliedert sich nach einem kurzen Vorwort und einer Einleitung in fünf Teile. Sie betreffen Allgemeines (begriffliche Grundlagen, methodische Grundlagen, Quellengrundlage und Forschungsfragen), Österreich mit der Verklammerung von Auswahl und Ausbildung, Deutschland mit einem langen Weg und einer späten Auswahl unter Einheitsjuristen und die Schweiz mit der Auswahl hinter verschlossenen Türen der politischen Parteien sowie systemvergleichende Aspekte und Fragen, wonach dann in einem umfangreichen Anhang noch verschiedene Interviews und eine Befragung von 1052 Richtern und Richterinnen zu Herkunft und Berufsbild folgen.

 

Vorgestellt wird dabei stets der rechtliche Rahmen, an den mittels eines Fragebogens gewonnene Rechtstatsachen über die soziale Herkunft, das Selbstbild und die Ausbildung der Richterschaft angeschlossen werden. In seinem Ergebnis kann der Verfasser feststellen, dass zwar Österreich, Deutschland und die Schweiz in den letzten siebzig Jahren den Grundsätzen ihrer unterschiedlichen Ausbildungsmodelle und Auswahlmodelle treu geblieben sind, diese aber in Einzelheiten vielfach verändert und erneuert haben. Insbesondere der höhere und inzwischen bereits leicht mehrheitliche Anteil von Frauen an den Studierenden der Rechtswissenschaft sowie auch der vermehrte Anteil an Bildungsaufsteigern hat einigermaßen unabhängig von den verschiedenen Ausbildungssystemen der drei behandelten Staaten zu einer Veränderung der sozialen Struktur der Richter geführt, die unabhängig von der verdienstvollen Untersuchung wohl noch nicht vollständig abgeschlossen ist, ohne dass wohl bereits das vielleicht auch utopische Ideal der Richterauswahl und Richterausbildung ermittelt und verwirklicht werden konnte.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler