Gemeine Bescheide, eingel. und hg. v. Oestmann, Peter, Teil 2 Reichshofrat 1613-1798 (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 63,2). Böhlau, Köln 2017. 480 S. Besprochen von Bernd Schildt.

 

Mit der Veröffentlichung der decreta communia des Reichshofrats findet die von Peter Oestmann besorgte zweibändige Edition gemeiner Bescheide der beiden höchsten Gerichte des frühneuzeitlichen Alten Reiches ihren Abschluss. Die Quellenüberlieferung stellt sich für die reichshofrätlichen decreta communia - so die, entgegen der zeitgenössischen (deutschen) Gesetzessprache latinisierte Bezeichnung der Gemeinen Bescheide in den gedruckten Sammlungen - ersichtlich günstiger als die für das Reichskammergericht dar. Indes kann von einer vollständigen Erfassung aller ergangenen Gemeinen Bescheide wohl nicht zweifelsfrei ausgegangen werden; obwohl die als primäre Vorlage für die Edition herangezogene Sammlung Renatus Karl Freiherr von Senkenbergs von 1800 dies zu suggerieren scheint. Jedenfalls sind einige wenige Gemeine Bescheide allein durch die handschriftliche Überlieferung in dem Teilbestand „Reichshofrat“ des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs nachgewiesen. Dieser enthält eine etwa 1000 Seiten umfassende Sammlung von „decreta communia an die Agenten, Prokuratoren und Parteien (1613-1798)“, auf die Oestmann als vergleichende Parallelüberlieferung zurückgreifen konnte. Im Rahmen des vorliegenden Editionsvorhabens war allerdings nur eine punktuelle Durchsicht aller 52 Kartons dieses mangels einer modernen Verzeichnung schwer zu benutzenden Teilbestandes leistbar.

 

Gleichwohl dürften die im Ergebnis für den Zeitraum von 1613 bis 1798 edierten 117 Gemeine Bescheide der Gesamtzahl der tatsächlich ergangenen Gemeinen Bescheide des Reichshofrates sehr nahe kommen. Das sind nicht nur deutlich weniger (etwas mehr als ein Drittel) als beim Reichskammergericht, sondern die Bescheide fallen insgesamt auch kürzer aus und richteten sich häufiger ausdrücklich an Prokuratoren und/oder Reichshofratsagenten. Eine Erklärung dafür ergibt sich nicht zuletzt auch aus dem Umstand, dass für eine Reihe von am Reichskammergericht durch Gemeine Bescheide geregelten Sachverhalten schlicht kein Regelungsbedarf bestand. Das gilt insbesondere mit Blick auf das Verhalten bei den am Reichshofrat wegen der strengen Schriftlichkeit des Prozesses im Regelfall nicht stattfindenden Audienzen und die am Reichskammergericht notwendige Abgrenzung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Unter inhaltlichen Gesichtspunkten ist auf den stärkeren Bezug zu lehnrechtlichen Fragen beim Reichshofrat zu verweisen - wahrlich kein überraschender Befund.

 

Unter einem eher methodischen Gesichtspunkt muss zunächst darauf hingewiesen werden, dass die Edition der Gemeinen Bescheide der beiden höchsten Reichsgerichte aus gut nachvollziehbaren Gründen in zwei Teilbänden erfolgt ist; inwieweit hierzu auch das Wismarer Tribunal oberstes „Reichsgericht“ für die schwedischen Reichslehen zu zählen ist, kann an dieser Stelle nicht thematisiert werden. Beide Teilbände sind aber insoweit als Einheit konzipiert, als die Einleitung des ersten Teilbandes - abgesehen von der Quellenüberlieferung - Reichskammergericht und Reichshofrat gleichermaßen betrifft und das Register im zweiten Teilband das gesamte Werk erfasst. Die Einleitung des hier vorzustellenden zweiten Teilbandes besteht praktisch nur aus einer Darstellung der Quellengrundlagen der Edition. Misslich ist, dass bei der vorangestellten Übersicht über die oft auch andere Materien betreffenden gedruckten Sammlungen die Angaben, auf welchen Seiten die decreta communia zu finden sind, fehlen. So wird beispielsweise für die Sammlung Johann Christoph von Uffenbachs, Tractatus singularis et methodicus de excelsissimo Consilio Caesareo-Imperiali Aulico, Vom Kayserl. Reichs-Hoff-Rath, Wien 1683 lediglich mitgeteilt, dass die Schrift „auf 24 Seiten eine Auswahl von 32 Gemeinen Bescheiden zwischen 1637 und 1683“ enthält (S. 11). Leider wird dabei die konkrete Fundstelle (nämlich Bl. 401-424), innerhalb der mehr als 700 S. umfassenden Schrift nicht angegeben. Demgegenüber erfolgt bei der Edition der einzelnen Bescheide eine exakte Angabe der jeweiligen Fundstelle. Im Übrigen wäre die sehr ausführliche Anmerkung des Herausgebers zum ersten Gemeinen Bescheid wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung in weiten Teilen in der Einleitung deutlich besser plaziert gewesen.

 

Gemäß den im ersten Teilband (S. 85-93) erläuterten Grundsätzen folgt die Edition (mit eher behutsamen Vereinfachungen) grundsätzlich der jeweils angegebenen Vorlage. Daraus ergibt sich eine weitgehend buchstabengetreue Wiedergabe der Texte. Problematisch ist meines Erachtens die Praxis, in zahllosen Fußnoten Textvarianten anderer Vorlagen mitzuteilen. So werden z. B. für den Bescheid Nr. 28 auf S. 137 für unnachläßlich gestraffet in Anmerkung 6 als Textvarianten unnachlässig gestrafft, unnachläßig gestrafft bzw. unnachläßig gestraft angegeben. Diese durchgehend praktizierte Vorgehensweise dürfte angesichts der zeitgenössisch weithin üblichen Schreibvarianz jedenfalls für den Rechtshistoriker kaum von Interesse sein. Es besteht insoweit auch die Gefahr, dass inhaltlich tatsächlich relevante Abweichungen in den Originaltexten in der Vielzahl entbehrlicher Anmerkungen zu Schreibvarianten untergehen.

 

Abschließend zu der von Peter Oestmann selbstironisch aufgeworfenen grundsätzlichen Frage, nach dem „Grenznutzen überspezialisierter Forschung ... wenn es außer dem Verfasser niemanden mehr gibt, der die Ergebnisse zur Kenntnis nimmt“ (S. 6). Zunächst einmal gereicht es Peter Oestmann zur Ehre, diese offenbar von seinen kritischen Mitarbeitern artikulierte Warnung nicht nur ernst zu nehmen, sondern sie auch noch publik zu machen. Um es aber vorweg zu nehmen: es ist ihm ausdrücklich zu attestieren, dass sich „das Buch noch außerhalb der beschriebenen Gefahrenzone bewegt“ (S. 6).

 

Zweifellos bietet allein schon die kompakte Verfügbarkeit der Gemeinen Bescheide in einer modernen Edition immense Vorteile und wird künftige Forschungen befördern. Auch die Tatsache, dass die zahlreich überlieferten gedruckten Sammlungen heute zwar beinahe durchgängig digitalisiert sind, steht dem nicht entgegen. Zum einen repräsentiert die primär als Vorlage herangezogene Sammlung Senkenbergs lediglich 82 Prozent der Gesamtüberlieferung und zum anderen wird ein unkomplizierter Zugriff auf die im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv überlieferten und zudem nur unzureichend erschlossenen handschriftlichen Quellen erst durch die Edition möglich. Hilfreich ist auch die vom Herausgeber weithin vorgenommene inhaltliche Analyse der edierten Quellen, die nicht nur innere Zusammenhänge zwischen verschiedenen Gemeinen Bescheiden, die in den zeitgenössischen Drucken nicht so ohne weiteres erkennbar sind, offenlegt, sondern auch nach Beweggründen für den Erlass von Gemeinen Bescheiden fragt. Hinzu kommt die vorzügliche Erschließung durch ein einheitliches Gesamtregister für beide Teilbände. Damit bleibt Peter Oestmann sich und dem im Vorwort zum ersten Teilband abgegebenen „altmodischen ... Bekenntnis zum gedruckten Buch“ treu.

 

Jatznick                                                          Bernd Schildt