Ferchland, Dana, Fotografieschutz im Wandel. Auswirkungen technischer, künstlerischer und rechtlicher Veränderungen auf den Urheberrechtsschutz von Fotografien. Kovač, Hamburg 2018. 278 S.
Ist der geltende Schutz der Fotografie nach deutschem und europäischem Urheberrecht und Leistungsschutzrecht auch in seinen Wandlungen sachgerecht und zeitgerecht? Die Arbeit, eine von Eva Inès Obergfell an der Humboldt-Universität in Berlin betreute Dissertation, fragt nach der Fotografie als künstlerischem Medium, nach dem Werkbegriff von virtuellen Fotogrammen, Computerbildern und anderen fotografieähnlichen Produkten, auch nach europäischem Recht, unter Einbeziehung latenter, nicht dauerhaft fixierter Bilder. Das betrifft vor allem auch Fotogramme an der Schnittstelle von fotografischer und bildender Kunst. Die Verfasserin bietet zugleich, was dem Titel merkwürdigerweise nicht zu entnehmen ist, auch einen Rechtsvergleich zum britischen Recht. Die Gemengelage zwischen Unionsrecht und zwei unterschiedlichen Rechtssystemen (Deutschland und Großbritannien) charakterisiert die Arbeit also entscheidend. Eine gedrängte Übersicht über den Forschungsstand wäre eingangs von Nutzen gewesen.
In der auch rechtshistorisch aufschlussreichen Entwicklung gemäß der Revidierten Berner Übereinkunft im Vergleich zur Schutzdauer-Richtlinie und innerhalb der unterschiedlichen Systeme nach deutschem und britischem Recht zeigen sich besondere Probleme bei sog. mehrkategorialen Werken (wie beispielsweise Kunstwerken von Man Ray, Gerhard Richter, Sigmar Polke, Travess Smalley, Marlo Pascual u. a.) und bei den sog. manipulierten Fotowerken. Die komplexen Probleme des Werkschutzes von Fotografien nach Unionsrecht werden unter Berücksichtigung der bekannten Rechtsprechung (Painer u. a.) sehr eingehend und kritisch erörtert. Das schließt die z. T. wenig ergiebige und kritisch gewürdigte Auslegung (Wortlaut, historisch, systematisch etc.) der Judikatur ein.
Die Ausführungen zu den sog. manipulierten Fotografien nach UrhG und CDPA fallen zum Unionsrecht ungleich knapper aus (S. 88f.). Hier hätte man sich, auch unter den Kategorien Bearbeitung und freie Benutzung, eine ausführlichere Würdigung des Unionsrechts gewünscht.
Die Analyse der Rechtsprechung nach deutschem, britischem und Unionsrecht ergibt ansonsten generell gesehen ein vielfarbiges, uneinheitliches Bild, auch bei den sog. Zufallsfotografien. Obwohl nach der Verfasserin nicht gesagt werden könne, inwieweit sich deutsches und britisches Urheberrecht angenähert hätten, soll dies bei Werkanforderungen für Fotografien doch der Fall sein (S. 204f.). Sicher ist, dass die Schutzschwelle nach dem Gerichtshof der Europäischen Union sich seit Painer gesenkt und der Anwendungsbereich von § 72 UrhG sich verringert hat. Gleichwohl sollen sich die Abgrenzungsschwierigkeiten von Lichtbildwerken und Lichtbildern seit der Schutzdauer-Richtlinie verschärft haben.
Die weitere gesonderte Analyse der deutschen Rechtsprechung zeigt, dass das Unionsrecht de facto bisher z. T. nicht oder eher formaliter umgesetzt worden ist (Kap. 3). Ein vergleichbares Bild ergibt cum grano salis der Blick auf die englische Judikatur. Der filigrane Rechtsvergleich bestätigt den Eindruck, dass die englischen Gerichte ihre „skill, labour and judgement/effort-Formel“ beibehalten. Das wird sich nach einem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union kaum ändern.
Ob die These, dass Art. 6 Schutzdauer-Richtlinie und § 2 UrhG auch normativ und praktisch übereinstimmen, zutrifft, erscheint auch nach der subtilen Analyse dieser Arbeit doch eher zweifelhaft. Sie kommt zu dem implizit oft durchschimmernden, daher erwartbaren Ergebnis, dass sich die Kriterien der britischen Faustformel leichter an einer Fotografie ablesen lassen würden als die Voraussetzungen Individualität und Gestaltungshöhe nach UrhG. Die Systematik der Urteile und ihre Begriffe unterscheiden sich – der Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Union oft wenig geachtet – daher weiterhin gravierend.
Mit der Arbeit soll auch ein neuer Ausgangspunkt für die Beurteilung von „Zufallsfotografien“ geschaffen werden. Sie wirft daher die Frage auf, ob der Werkbegriff des Unionsrechts der britischen „Originality“ näher steht als der deutsche Begriff der persönlichen geistigen Schöpfung. Die differenzierten Ergebnisse werden relativiert, weil sie am Ende selbst als bloße „Momentaufnahme“ bezeichnet werden, die künftig bestätigt oder widerlegt werden könne (S. 259). Man wird mit der Verfasserin zu Recht § 72 UrhG, die Auffangnorm, als weiterhin wichtig ansehen können.
Eine klarere Position des Gerichtshofs der Europäischen Union zum Werkbegriff soll einerseits wünschenswert, aber andererseits für die Rechtssicherheit kaum förderlich sein (S. 260). Letztlich wird für den Fotografieschutz das Copyright-Modell dem droits-d‘auteurs-Modell vorgezogen, jedoch gleichzeitig infrage gestellt, wie sich das Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union letztlich praktisch auswirken werde. In dem Ergebnis entwertet die Verfasserin auf solche Art und Weise die interessante Analyse unnötigerweise selbst. Sie ist, mag sie auch in Teilen über die Studie Eva-Marie Königs (Der Werkbegriff in Europa, Tübingen 2015) nicht allzu weit hinausgelangt sein, vor allem deshalb von Belang, weil sie eine Reihe von Problembereichen und Randzonen, die noch der Klärung bedürfen, sehr anschaulich aufzeigt.
Die beabsichtigte Untersuchung mehrkategorialer Werke (Verbindung von Fotografie und Kunst), die – über Schnittstellen von Fotografie zu Malerei, Grafik, Collage hinaus - die Lücke in puncto Plastik ausfüllen soll (S. 21), gerät in der Folge zuweilen ein wenig aus dem engeren Blickfeld und wird entgegen den anfänglichen Ausführungen zu den markanten Fragestellungen in den Ergebnissen kaum noch angesprochen. Die zunächst sehr interessante und besonders bemerkenswerte Analyse von Werkkombinationen (s. S. 91ff., 108ff.) wird in den folgenden Abschnitten jedoch, wie mir scheint, wenn überhaupt, eher stiefmütterlich behandelt.
Die Studie wendet sich damit von ihrem ursprünglichen Ausgangspunkt etwas ab, was ihren substantiellen Ertrag nicht mindert, aber doch von dem Ausgangspunkt und einigen der anfangs und im Untertitel formulierten Fragestellungen (Auswirkungen künstlerischer und technischer Veränderungen) weiter wegführt. Sie zeigt jedoch insgesamt die wenig stringente Rezeption des Unionsrechts, eine Vielzahl der damit verbundenen noch offenen Fragen und die Notwendigkeit auch normativer Lösungen auf, wenn denn die Differenzen innerhalb der Union und die Unsicherheiten im Fotografieschutz überwunden werden sollen. Sie bringt zudem eine Reihe beachtlicher rechtspolitischer Überlegungen zur Sprache.
Düsseldorf Albrecht Götz von Olenhusen