Falk, Georg D., Entnazifizierung und Kontinuität. Der Wiederaufbau der hessischen Justiz am Beispiel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (= Veröffentlichungen der historischen Kommission für Hessen 86). Historische Kommission für Hessen, Marburg 2017. XI, 531 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Trotz des in Frankreich 1789 revolutionär und seitdem überwiegend evolutionär verwirklichten Grundsatzes der Gleichheit aller Menschen gibt es überall und jederzeit einzelne Menschen, die ihre besonderen Vorstellungen auch von möglichst vielen Mitmenschen als Anhängern verwirklicht sehen wollen. Dies gilt neben zahllosen anderen Lebensbereichen auch und vor allem in der Politik. In diesem Sinne hat Adolf Hitler die von ihm entwickelte nationalsozialistische Ideologie den Deutschen seiner Zeit vorgetragen und damit aus so unterschiedlichen Gründen wie Überzeugung oder Opportunismus viele Gefolgsleute um sich geschart, darunter auch zahlreiche Juristen, welche etwa die Gleichheit allen Fremdvölkischen abgesprochen haben.

 

Der 1949 geborene, von 2005 bis 2014 als vorsitzender Richter eines Zivilsenats  an dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main und seit 2006 als Mitglied des Staatsgerichtshofs Hessen tätige, bereits durch zahlreiche Veröffentlichungen, Vorträge und Veranstaltungen mit jungen Richtern hervorgetretene Verfasser behandelt diese Problematik für den besonderen Bereich des Wiederaufbaus der Justiz Hessens nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes an Hand von 114 Biographien, die zwischen 2014 und 2017 entstanden und zu einem Gesamtbilde zusammengefügt wurden. Gegliedert ist das an dem Leitbild des unbefangenen Richters orientierte Werk in sechs einer kurzen Einleitung folgenden Abschnitten. Sie betreffen fragend die Beziehung zwischen neuem Gericht und neuen Richtern, die Gründe für eine nationalsozialistische Belastung von Richtern zwischen Anpassung, Widerstand und Vertreibung, die Rahmenbedingungen bei dem Wiederaufbau des an dem 8. März 1946 neu errichteten Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, die Richter des Oberlandesgerichts von 1946 bis 1949, die Richter des Oberlandesgerichts 1953 und 1960 und die Frage nach einer möglichen anderen Rechtsprechung unbelasteter Richter.

 

Dabei gelangt der Verfasser in sorgfältiger und eindringlicher Untersuchung der verfügbaren Quellen  zu dem wichtigen Ergebnis, dass an dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main anders als anderswo  in den ersten vier Jahren nach 1946 kein einziger Richter wirkte, der Mitglied der Nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei Adolf Hitlers gewesen oder als Minderbelasteter oder Mitläufer entnazifiziert worden war, dass aber ein vergleichsweise hoher Anteil entrechteter und verfolgter jüdischer Richter wieder zu einem Einsatz kam. Für die Jahre 1953 und 1960 kann er allerdings zeigen, dass auch in Hessen einige Richter trotz einer nationalsozialistischen Belastung auf Grund einer gelockerten Entnazifizierungspolitik ihre Laufbahn in Beförderungsämtern fortsetzen konnten (1953 25 Prozent belastete Richte, 1960 22 Prozent, 1950 von insgesamt 595 Richtern Hessens 51,6 Prozent als Mitläufer eingestuft). Insgesamt scheidet der Verfasser auf diese Weise unter Einbeziehung der Rechtsprechung aufrechte Richter von „furchtbaren Juristen, denen er Namen und Gesicht gibt“, wovon der amtierende Präsident des Oberlandesgerichts sich Einfluss auf die Persönlichkeitsbildung der heute tätigen Richterinnen und Richter erhofft.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler