Ellsperger, Regina Margarethe, Zum Verhältnis von unmittelbarer und mittelbarer Stellvertretung unter besonderer Berücksichtigung der Schlossmann’schen Vertretungslehre (= Europäische Hochschulschriften 2, 5827). Lang, Frankfurt am Main 2016. XIV, 202 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Stellvertretung (Wort 1799, Stellvertreter 1695) ist das rechtsgeschäftliche Handeln einer Person (Vertreter) für eine andere Person (Vertretenen), was grundsätzlich mittelbar (verdeckt) oder unmittelbar (offen) erfolgen kann. Das römische Recht schließt die Stellvertretung wegen der grundsätzlichen Höchstpersönlichkeit der schuldnerischen Bindung aus, kennt aber in der Rechtswirklichkeit andere Wege, um die Ziele der Stellvertretung zu erreichen (wie etwa das peculium des Sklaven). In dem Mittelalter entwickelt sich die Stellvertretung aus der Vertretung vor Gericht, nach der im Spätmittelalter die Bevollmächtigung von Angestellten bedeutender Kaufleute üblich wird.
Mit einem besonderen Teilaspekt der diesbezüglichen Problematik beschäftigt sich die von Jan Wilhelm angeregte und betreute, maßgeblich zwischen Oktober 2003 und Februar 2007 während einer Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an dem Lehrstuhl ihres Betreuers geschaffene, 2014 gründlich überarbeitete und daraufhin 2015 von der juristischen Fakultät der Universität Passau angenommene Dissertation der inzwischen als Richterin tätigen Verfasserin. Sie gliedert sich nach einer Einführung über das so genannte Trennungsdogma in dem Recht der mittelbaren Stellvertretung und Gegenstand, Methodik sowie Ziel der Untersuchung in zwei Sachkapitel. Diese betreffen die Schlossmann’sche Vertretungslehre und die Relevanz eines einheitlichen Vertretungsinstituts im geltenden Recht.
Ausgangspunkt der Verfasserin ist die in den §§ 164ff. BGB geregelte unmittelbare Stellvertretung, der im deutschen Recht die gesetzlich nicht geregelte mittelbare Stellvertretung gegenübergestellt wird, die von dem so genannten Eigengeschäft abgegrenzt werden muss. Auf dieser Grundlage wollte der 1844 in Breslau in einer jüdischen Familie geborene, nach dem Studium der Rechtswissenschaft 1868 in Greifswald promovierte, 1874 in Breslau habilitierte und nach Bonn und 1884 nach Kiel berufene sowie 1909 verstorbene Siegmund Alexander Schlossmann in einem in zwei Bänden 1900 und 1902 erschienenen Werk die Lehre von der Stellvertretung durch Vereinheitlichung reformieren. In gründlicher, auf einem in den Seiten 193-202 dokumentierten Literaturverzeichnis beruhender Auseinandersetzung mit Schlossmanns Ansichten kann die Verfasserin zeigen, dass das jeweilige Wissen des mittelbar Vertretenen die Wirkungen des Ausführungsgeschäfts analog § 166 II BGB beeinflusst, wodurch Schlossmanns Vorstellung zumindest teilweise bestätigt wird, weil sich die subjektiven Verhältnisse des Vertreters und des Vertretenen bei unmittelbarer Vertretungswirkung und mittelbarer Vertretungswirkung bei extensiver Auslegung nach den gleichen Grundsätzen auswirken. Das könnte dogmatisch als Folge haben, dass das Trennungsdogma der herrschenden Lehre insoweit aufgegeben werden könnte und die Vertretungstendenz auch bei der mittelbaren Stellvertretung für die Gestaltung der Rechtsfolgen anerkannt würde, was aber in der Wirklichkeit der deutschen Rechtsdogmatik wohl noch längere Zeit abgewartet werden muss.
Innsbruck Gerhard Köbler
ler