Eine ungemein eigensinnige Auswahl unbekannter Wortschönheiten aus dem Grimmschen Wörterbuch, ausgewählt und hg. v. Graf, Peter, grafisch in Szene gesetzt von 2xGoldstein+Fronczek. Verlag Das kulturelle Gedächtnis, Berlin 2018. 352 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Am Anfang war das Wort und danach dauerte es wohl bis etwa zum Untergang Westroms, bis das erste deutsche Wort kam. Auf seiner und seiner Geschwister Grundlage entstand im achten nachchristlichen Jahrhundert das erste deutsche Buch und zwar gleich in der Form des lateinisch-althochdeutschen Synonymenlexikons Abrogans. Weit mehr als tausend Jahre später schufen Jakob Grimm (A, B, C) und Wilhelm Grimm (D)  sowie nach ihrem Tode verschiedene Nachfolger zwischen 1838 und 1961 ein deutsches Wörterbuch (des Neuhochdeutschen) mit 319083 Lemmata, dessen wenig später begonnene Neubearbeitung der Buchstaben von A bis F vielleicht noch in dem laufenden Jahr einem überstürzten, bei größerer Aktualität etwas kürzendem Ende zugeführt wird.

 

Noch vor diesem zweiten Schlusspunkt eines großen und großartigen, wenn auch aus idealistischer Sicht kaum vollkommenen Jahrhundertwerks legt der seit fast fünfundzwanzig Jahren als Lektor und Verleger tätige, in unterschiedlichen Unternehmen (Alexander Fest und Rogner und Bernhard, Kein und Aber in Zürich, Aufbau in Berlin und Metropolit) viele Publikationen aus Kunstbuch, Fotobuch, Sachbuch und Belletristik betreuende und verlegende Peter Graf eine ungemein eigensinnige Auswahl vor. Sein vorliegendes Buch macht nach seiner Gebrauchsanleitung nichts anderes, als eigen gestaltet, das in erster Bearbeitung  34824 Seiten umfassende Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm nach Lust und Laune des Autors ohne jeden wissenschaftlichen Anspruch auf etwa ein Hundertstel (oder mehr) seines Umfangs zu verringern und, nur der Idee der Blütenlese folgend, die seltsamsten, wunderbarsten und unbekanntesten Wortschönheiten aus dem Wortmuseum des Bedeutungswörterbuchs zu befreien und in einer überschaubaren  Dosis von A bis Zwischenlichtenstunde dem heutigen Leser ans Herz zu legen. Als Beispiele der Auswahl führt es selbst auf seinen Umschlägen Besuchameise, blitzzwiebelblau, Deutschverderber, dritthimmelverzückt, Entschuldigungsschwamm, firlefanzen, Frühstücksfehler, Furzauflese, Genieunwesen, Glückseligkeitsschimäre, Hummelhirn, jetztberührt, klangklingklunnkern (s. klingklang?), Kirmessalat, kummerverlächelnd, leichenlangsam, Lippenlapp, meerüberflatternd und Probegeliebte an.

 

Unmittelbar nach seinem Bekanntwerden hat das Werk die Aufmerksamkeit eines sachkundigen Rezensenten erweckt. Deswegen genügt es an dieser Stelle auf eine allgemeine Schlussbemerkung des Herausgebers hinzuweisen. Nach ihm darf, „wer die Schönheit der deutschen Sprache zu Recht feiert, vor dem Hässlichen“ – wie Adolf Hitler sowie seinem Kampf gegen die Juden – „eben auch nicht die Augen schließen“, so verdienstvoll ein ideales Deutsches Wörterbuch vielleicht auch wäre.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler