Die deutsche Minderheit in Polen und die kommunistischen Behörden 1945-1989, hg. v. Dziurok, Adam/Madajczyk, Piotr/Rosenbaum, Sebastian. V&R, Göttingen 2017. 380 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Die Polen werden als Teil der Slawen zwischen den Karpaten und der Ostsee an dem Ende des Frühmittelalters sichtbar. In der wechselvollen Geschichte der von ihnen geschaffenen Länder wird das 1768 unter die Vorherrschaft Russlands geratene Polen 1772, 1793 und 1795 zwischen Russland, Preußen und Österreich aufgeteilt, aber danach teilweise wiederhergestellt und gewinnt nach Ausrufung seiner Unabhängigkeit an dem 11. November 1918 bis 1921 Westpreußen, Posen, Westgalizien und Gebiete Russlands im Osten sowie bis 1923 das Wilnagebiet und Ostgalizien, so dass zu seinen Staatsbürgern auch viele Deutschsprachige und Russischsprachige zählen. Nach der Aufteilung durch Josef Stalin und Adolf Hitler 1939 wird es nach 2078 Tagen Besetzung durch das Deutsche Reich an dem Ende des zweiten Weltkriegs zu Gunsten der Sowjetunion und zu Lasten des Deutschen Reiches bis zu Oder und Neiße nach Westen verlagert, wobei viele Deutsche vertrieben werden oder fliehen und nur eine deutschsprachige Minderheit in Polen zurückbleibt, mit deren Leben unter den kommunistischen Behörden sich der interessante Sammelband beschäftigt.

 

Wie Piotr Madajczyk von dem Institut für politische Studien der polnischen Akademie der Wissenschaften in seiner sachkundigen Einführung des vorliegenden Buches darlegt, unterlag die Erforschung der Geschichte der Deutschen in Polen nach dem zweiten Weltkrieg bis zu dem Ende des kommunistischen Systems in dem Jahre 1989 politisch motivierten Einschränkungen auf Grund der gesellschaftspolitischen Gegebenheiten des kommunistischen Systems. Rund fünfundzwanzig Jahre danach will das Werk die seitdem gewonnenen Erkenntnisse darstellen und den gegenwärtigen Forschungsstand abbilden. Es beruht auf Vorträgen einer in Gleiwitz (Gliwice) an dem 28. und 29. November 2013 abgehaltenen wissenschaftlichen Tagung mit dem Titel „Kommunistische Behörden gegenüber der deutschen Bevölkerung in Polen zwischen 1945 und 1989.

 

Nach der Einführung versammelt das Werk insgesamt 27 ertragreiche Studien. Sie sind in die sechs Abschnitte Das Jahr 1945 – Wahrnehmung der deutschen Problematik, Politik der Machtorgane in den ersten Nachkriegsjahren, politisches Vorgehen in den folgenden Dekaden, Propaganda, das Unterdrückungssystem, Kultur, Identität, Bildungswesen, gesellschaftsökonomische Angelegenheiten und die deutsche Minderheit in den deutsch-polnischen Beziehungen gegliedert. Dabei beginnt Lukasz Jasiński mit einem Überblick über die Tätigkeit der Hauptkommission zur Erforschung der deutschen Verbrechen in Polen 1945 bis 1949, werden etwa Strafgerichtsprozesse deutscher Kriegsverbrecher in Kleinpolen, die Situation deutscher, den Holocaust überlebender Juden in Breslau und Niederschlesien, die Lage der Lutheraner in Lodz, Deutsche und Polen in den Arbeitslagern des Ressorts für öffentliche Sicherheit, Deutsche unter polnischer Herrschaft in Breslau, der Regierungsbevollmächtigte für den Bezirk Masuren, die Situation im Kreis Rastenburg, die Lage in Danzig, eine dünne Schicht deutscher Farbe auf gesundem polnischem Holz (oder die Entgermanisierung des Oppelner Schlesiens für jedermann), der Versuch einer Periodisierung  der Politik des Staates gegenüber der deutschen Bevölkerung, die so genannte Autochthonie, die Gegebenheiten der Anwesenheit von Deutschen in Niederschlesien, die Normalisierung in den fünfziger Jahren, die gesellschaftliche Integration der deutschen und autochthonen Bevölkerung in den so genannten wiedergewonnenen Gebieten, die Reaktionen auf prodeutsche Einstellungen unter Jugendlichen in Oppeln, die Propaganda  der Volksrepublik Polen gegenüber Deutschen zwischen 1969 und 1975, die Flüsterpropaganda, der kommunistische Sicherheitsapparat in dem Oppelner Schlesien. der Prozess gegen die „Agenten“ des Kirchendienstes Ost, das Wojewodschaftsamt für öffentliche Sicherheit in Allenstein, die Deutschen in Stutthoff und Sztutowo, die staatliche Bildungspolitik gegenüber der deutschen Bevölkerung zwischen 1945 und 1960, Internierungslager für Deutsche, Deutsche in Polen in dem Blickfeld der Bundesregierung und deutscher Vertriebenenorganisationen, Übersiedlungen aus Polen in die Deutsche Demokratische Republik und die Problematik der deutschen Minderheit und des Revisionismus nach dem 22. Juli 1983 untersucht.

 

Ein Behörden- und Institutionenverzeichnis, ein Verzeichnis der Autoren und ein Ortsnamenverzeichnis runden das interessante vielfältige Bild des Verhältnisses von Siegern und Verlierern nach einem blutigen Krieg mit dramatischen Auseinandersetzungen und mörderischen Schädigungen benutzerfreundlich ab. Möge der Zukunft die Verständigung, der Ausgleich und die Zusammenarbeit gehören, damit über das erfreulicherweise bereits Erreichte hinaus auch die ellenlange Liste der noch offenen Fragen historisch-wissenschaftlich ausreichend aufgearbeitet werden kann. Dafür ist gerade auch das Beziehungsgeflecht zwischen Deutschen und Polen in Europa geeignet und wichtig.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler