Die Heilige Allianz – Entstehung - Wirkung – Rezeption, hg. v. Schubert, Anselm/Pyta, Wolfram. Kohlhammer, Stuttgart 2018. 280 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Wer wo wann wie und warum die politischen Geschicke der Menschen in der Welt bestimmt, ist insgesamt wohl eher dem Einzelnen unbekannt. Er erfährt zwar immer wieder Entscheidungen einzelner Entscheidungsträger, aber deren Hintergründe bleiben ihm zumeist weitgehend verschlossen, weil die Gedanken des Einzelnen bisher nur ihm bekannt sind und er sie auch der Allgemeinheit kaum je vollständig offenbart. Umso interessanter sind Verabredungen oder Abstimmungen mehrerer Einzelner, weil sie sich dabei grundsätzlich miteinander austauschen (müssen).
Ein bekanntes Beispiel hierfür ist das in Paris an dem 26. 9. 1815 zwischen Zar Alexander I. von Russland, Kaiser Franz I. von Österreich und König Friedrich Wilhelm III. von Preußen nach dem von den Alliierten bei Waterloo an dem 18. Juni 1815 errungenen Sieg über Napoleon abgesprochene religiös-moralische Manifest, das neben dem Bekenntnis zu der christlichen Religion und zu den Grundsätzen der Legitimität, Legalität und Stabilität auch ein allgemeines Beistandsversprechen enthält und bald von fast allen christlichen Staaten Europas übernommen wird. Nach der sachkundigen Einleitung der in Erlangen-Nürnberg und Stuttgart bzw. Ludwigsburg tätigen Herausgeber haben allerdings schon Zeitgenossen dieser Proklamation misstraut. Dementsprechend scheint es notwendig und sinnvoll, die Entstehung und Bedeutung der Heiligen Allianz neu zu bewerten, was auf einer interdisziplinären Tagung in Erlangen-Nürnberg in dem Nachgang des 200. Jahrestags des Abschlusses 2016 versucht wurde.
Der vorliegende schlanke, mit einem Kupferstich der Befreier Europas Friedrich Georg Weitschs (1815) geschmückte Sammelband stellt 16 Referate der Allgemeinheit zur Verfügung, die in vier Bereiche geteilt sind. Diese betreffen die politischen Dimensionen, die militärischen Dimensionen und die religiösen Dimensionen sowie die Wahrnehmung und Wirkungsgeschichte. Sie beginnen mit Alexanders I. Idee, behandeln Metternichs Österreich, Preußen, das beendete französische Empire, den Versuch einer Etablierung eines neuen Politikstils, die Interventionen Österreichs in Neapel und Piemont 1821, Spanien 1823, Quellen zu Russlands Gegebenheiten, Preußens Religionspolitik, Liturgie als Vorbild, das Verhalten des Heiligen Stuhles, die bildliche Darstellung, Friedrich von Gentz‘ Einschätzung, Chateaubriands Beziehung zu dem Wiener Kongress, das Denken der Konservativen Preußens sowie Reaktionen in der internationalen Publizistik zwischen 1816 und 1819 auf die Heilige Allianz und werden in ihren vielfältigen weiterführenden Erkenntnissen für die internationale, nach vielen Kriegen an sich auf Frieden gerichtete Politik des anschließenden Jahrzehnts benutzerfreundlich durch ein von Abel bis Witzleben reichendes Register (der beteiligen Menschen außer Alexander I., Franz I. und Friedrich Wilhelm III.) aufgeschlossen.
Innsbruck Gerhard Köbler