Der preußisch-österreichische Krieg 1866, hg. v. Heinemann, Winfried/Höbelt, Lothar/Lappenküper, Ulrich (= Otto-von-Bismarck-Stiftung Wissenschaftliche Reihe 26). Schöningh, Paderborn 2018. 374 S. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Wenn von bedeutenden Ereignissen die Rede ist, die den Gang der Geschichte durch eine bestimmte Weichenstellung auf längere Zeit prägen konnten, wird gern der Begriff des Schicksalsjahrs bemüht. Als solches gilt auch 1866, das Jahr der militärischen Entscheidung bei Königgrätz, welche die Verdrängung Österreichs aus dem Deutschen Bund und die nationale Einigung Deutschlands im Wege der kleindeutschen Lösung unter preußischem Primat nach sich zog, eine Konstellation, über deren Wirkmacht im Hinblick auf die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts – Stichwort deutscher Sonderweg – heftige Debatten geführt worden sind. Inzwischen haben sich die Wogen geglättet, die Sonderwegstheorie ist weitgehend vom Tisch. Stattdessen legt die Forschung heute ein verstärktes Augenmerk auf die Dekonstruktion von Mythen, die sich über Jahrzehnte über die verfestigte Interpretation bestimmter Schlüsselereignisse herausgebildet haben. Im März 2016 haben die Otto-von-Bismarck-Stiftung, die Deutsche Kommission für Militärgeschichte, das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Potsdam und das Historische Seminar der Universität Wien das 150-Jahr-Jubiläum der Schlacht von Königgrätz zum willkommenen Anlass genommen, im Rahmen einer internationalen Konferenz im Militärhistorischen Museum in Dresden eine Bestandsaufnahme des Wissensstandes zu diesem Ereignis vorzunehmen. Die Ergebnisse hat nun die Otto-von-Bismarck-Stiftung als 26. Band ihrer wissenschaftlichen Reihe für jedermann verfügbar gemacht.

 

Im Fokus des Interesses stehen sowohl der Waffengang selbst als auch dessen Ursachen und Folgen. Der Sammelband folgt einer klaren fünfgliedrigen Struktur und vermeidet dadurch die in solchen Werken häufig anzutreffenden Überschneidungen und Wiederholungen. Praktisch ist auch, dass die Herausgeber schon in ihrer Einleitung die Kernaussagen der einzelnen Beiträge knapp skizzieren. Der erste von fünf Themenblöcken fragt danach, auf welchem Weg die Entscheidung zum Krieg jeweils bei den Hauptakteuren in Preußen (Frank Möller), Österreich (Alma Hannig) und Italien (Luciano Monzali) gefallen ist. Im zweiten Abschnitt wird das Verhalten der übrigen europäischen Großmächte untersucht, also Frankreichs (Ulrich Lappenküper), Großbritanniens (T. G. Otte; dieser Artikel ist als einziger in englischer Sprache verfasst) und Russlands (Alexander Medyakov). Dem Verlauf und den Charakteristika der Schlachten von Königgrätz (Thorsten Loch, Lars Zacharias) und Custoza (M. Christian Ortner) widmen sich die zwei Beiträge des folgenden Blocks, bevor im vorletzten Abschnitt das Agieren der deutschen Mittelstaaten im süddeutschen Raum (Wolf D. Gruner) sowie Sachsens (Ulf Morgenstern) und Hannovers (Dieter Brosius) näher beleuchtet wird. Die fünfte Sektion fragt nach den Folgen von Königgrätz für die Neuordnung Deutschlands (Hans-Christof Kraus) und der Donaumonarchie (Lothar Höbelt) sowie nach der Berechtigung, die Schlacht als einen Wendepunkt der deutschen und europäischen Geschichte einzuschätzen (Michael Epkenhans).

 

In der Gesamtschau verdichten sich die einzelnen Beiträge in etwa zu folgendem politischen Gesamtbild: Dass Bismarck von Anfang an eine durchgeplante Politik der Nationalstaatsgründung betrieben habe, sei nicht wahrscheinlich. Vielmehr habe er eine preußische Hegemonie in Norddeutschland und eine Machtteilung mit Österreich im Deutschen Bund forciert. Der gemeinsame Erfolg im Deutsch-Dänischen Krieg 1864 und die Unmöglichkeit, eine dauerhafte Lösung für Schleswig und Holstein zu finden, hätten sodann den preußisch-österreichischen Konflikt dynamisiert. Bismarcks Hinwendung zu den Liberalen – und damit die untrennbare Verkoppelung großpreußischer Machtinteressen mit der nationalen Einigung – sei für ihn nur eine Option unter mehreren gewesen, die er dann 1866 weniger kraft eigenen Wollens denn in Konsequenz der österreichischen Entscheidungen ergriffen habe. Auch im Habsburgerreich hätten der Kaiser und ein Großteil der Minister noch im Frühsommer 1866 eine militärische Eskalation nicht befürwortet, mussten aber schließlich erkennen, „dass eine friedliche und ernsthafte Verständigung mit Preußen nur durch […] Verzicht auf die Hegemonie und den Großmachtstatus zu erreichen war“ (S. 51), ein zu hoher Preis. „Keine der Großmächte hätte kampflos eines ihrer vielen vitalen Interessen, ihren Einfluss und ihr Prestige aufgegeben. Zudem galt der Krieg unter den europäischen Mächten als die Ultima ratio und somit immer noch als ein legitimes Mittel der Politik“ (S. 56). Das 1861 aus der Taufe gehobene, noch von zahlreichen innenpolitischen wie außenpolitischen Geburtswehen gebeutelte Königreich Italien suchte „angesichts der militärischen Übermacht der Habsburger lange nach einer diplomatischen Lösung“, doch bot „die Verschärfung des Gegensatzes zwischen Preußen und Österreich […] die Gelegenheit, […] Ambitionen auf Venetien allenfalls auch gegen den Widerstand Wiens zu verwirklichen“ (S. 67f.). Verlauf und Ausgang des Krieges führten trotz des militärischen Versagens der Italiener letztlich zu diesem Ergebnis; zudem verzichteten die Habsburger auf die Wiederherstellung ihrer ehemaligen italienischen Herrschaften, sicherten damit die Existenz des italienischen Nationalstaats langfristig und verschafften ihm einen größeren Spielraum gegenüber seiner ehrgeizigen Schutzmacht Frankreich unter Napoleon III.

 

Dieser wollte den Einfluss Preußens auf Norddeutschland beschränkt wissen, schloss nach anfänglichem Lavieren mit Österreich ein geheimes Neutralitätsabkommen und sah sich somit nach Königgrätz an der Seite des Verlierers. 1870 stand Frankreich selbst im Krieg mit Preußen, wofür „zum einen der relative machtpolitische Niedergang des Second Empire seit Beginn der 1860er-Jahre, zum anderen der französische Irrglaube, dass die Gründung eines deutschen Nationalstaates eine tödliche Gefahr für Frankreichs Großmachtstellung darstelle“, im Verein mit dem „Versagen der Regierungen in Paris und Berlin, die aufgrund eines bereits erlittenen bzw. drohenden Autoritätsverlusts ihr Heil im Krieg suchten“, verantwortlich zeichnen (S. 106). Sicherheitsinteresse und Neutralität der Kolonialmacht Großbritannien wiederum hätten in erster Linie auf die Erhaltung des europäischen Gleichgewichts gezielt, insbesondere auf ein tragfähiges kontinentales Gegengewicht zu Russland, das man auch bei einem Zusammenschluss Norddeutschlands gewährleistet sah. Russland wiederum neigte wegen seiner orientalischen Interessen dazu, Österreich in Deutschland zu halten und damit vom Balkan fernzuhalten. Nachdem sich die Dinge anders entwickelt hatten, sei man in St. Petersburg bestrebt gewesen, „gegenüber Frankreich und Preußen ein gewisses Gleichgewicht zu halten“ (S. 148). Den Machtzuwachs Preußens nahm man im eigenen Sicherheitsinteresse „als eine Art des kleineren Übels“ hin und konstatierte nüchtern: „Wenn wir Frankreich und Österreich erlauben, Preußen zu zerschlagen, wird unsere Stellung im Orient und in Polen schlimmer als 1812“ (S. 157).

 

Die deutschen Mittelstaaten, namentlich Bayern, Baden, Württemberg, Sachsen und Hannover, die auf österreichischer Seite die Bundesexekution gegen Preußen mitgetragen hatten, entwickelten sich, wie gezeigt wird, nach 1866 unterschiedlich. Die drei süddeutschen Staaten hätten sich unfähig erwiesen, ihre Interessen zu bündeln und gemeinsam zu artikulieren, und weder die Möglichkeit zur Bildung eines Südbundes (1866) noch die eines Allgemeinen Deutschen Bundes als Verfassungsdach (1870) genützt, womit sie in der Folge einen großen Teil ihrer Souveränität preisgeben mussten. Sachsen konnte dank der Intervention Frankreichs und Österreichs sein staatliches Weiterexistieren mit eingeschränkter Souveränität erhalten, während Hannover das härteste Schicksal traf, indem es – von Preußen annektiert – sein staatliches Eigenleben verlor.

 

Die beiden Beiträge, die sich mit dem militärischen Geschehen auf den Schlachtfeldern von Königgrätz und Custoza beschäftigen, kommen zu folgenden Ergebnissen: Ausschlaggebend für den Ausgang des Deutschen Krieges 1866 sei – neben den Waffen, der Gefechtstaktik und den Führungsentscheidungen auf beiden Seiten – „die durch Preußen eingeführte und in diesem Krieg erstmals praktizierte operative Ebene“ gewesen. „Der preußische Ansatz zur Teilung der Kräfte folgte dem Zweck der Umfassung […]. Der österreichische Ansatz […] favorisierte […] die Konzentration der Kräfte zum Zweck des frontalen Durchbruchs. Die preußische Idee entwickelte nicht nur 1866 den entscheidenden strukturellen Vorteil, sie legte auch den Grundstein für den Sieg über Frankreich 1870/1871 [und] sollte das militärische Denken der deutschen Militärs bis in das Ende des Kalten Krieges prägen“ (S. 187). Das berühmte preußische Zündnadelgewehr und die mangelhafte Führung des Oberbefehlshabers der österreichischen Nordarmee, Ludwig Ritter von Benedek, rücken somit als lange strapazierte Ursachen für die Niederlage zurück in die zweite oder gar dritte Reihe. Für den Erfolg bei Custoza, den die Österreicher infolge ihres forciert aktiven Vorgehens mit Verlusten bezahlen mussten, die um mehr als ein Drittel höher lagen als die der Italiener, hätten Führungsstruktur und Führungsentscheidungen eine wesentliche Rolle gespielt. Während die Italiener ihre Kräfte zersplittert hätten, zu passiv geblieben seien und operativ-taktische Entschlüsse weitgehend nur auf der Armee- und Korpsebene getroffen hätten, „gelang es der kaiserlichen Südarmee, bis auf zwei Bataillone sämtliche Truppen auch ins Gefecht zu bringen und damit die eigene Kampfkraft voll zu entwickeln“, und im Sinne einer agilen Kampfführung noch auf der Brigadeebene eigenständige taktische Entschlüsse zu fassen und umzusetzen (S. 205f.).

 

Die Bewertung der Ereignisse von 1866 in einem größeren Kontext bietet nicht allzu viele Überraschungen. Am ehesten erfüllt noch der Beitrag Lothar Höbelts diesen Anspruch, der die Auffassung untermauert, dass Österreichs Niederlage bei Königgrätz nicht, wie gemeinhin kolportiert, als der wesentliche Schlüssel für den „Ausgleich“ mit Ungarn 1867 zu gelten habe, da jener eine längere Vorgeschichte habe und „schon ziemlich weit gediehen (war), als im Sommer 1866 der Krieg ausbrach“ (S. 350). Für die deutsche und europäische Geschichte resümiert Michael Epkenhans die große Bedeutung von Königgrätz im Hinblick auf die Verwirklichung des deutschen Nationalstaates, verwirft aber einmal mehr einen direkten Kausalzusammenhang mit der späteren Ausbildung der nationalsozialistischen Diktatur und merkt dazu an, dass es in Anbetracht des „starren und unnachgiebigen Festhalten(s) der österreichischen Regierung an einer Hegemonialstellung, die inzwischen einer reellen staatspolitischen Grundlage entbehrte und daher den Konflikt geradezu herausforderte“ (S. 367), „im Reichsgründungsjahrzehnt schlichtweg keine bürgerlich-zivile Alternative zu Bismarcks kriegerischer, nüchtern kalkulierender Machtpolitik“ gegeben habe. „Es war […] weniger der militärische Gründungsakt, […] der die Zukunft des Reiches belastete. Die eigentliche Last, die Bismarck dem Nationalstaat auferlegte, war vielmehr die immanente Schwäche des politischen Systems, vor allem aber Bismarcks Auffassung, dass der neue Nationalstaat nicht nur nach außen, sondern auch nach innen saturiert sei“ (S. 370f.). Diese Einschätzung hat sich heute in der Forschung weitgehend als communis opinio durchgesetzt.

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic