Decker, Oliver, Die Entstehung der bayerischen Notariate – Politikum und Institutionalisierung: Notariat und Notariatsgesetzgebung im Königreich Bayern 1848-1862 (= Rechtsgeschichtliche Studien 79). Kovač, Hamburg 2018. 434 S.

 

Diese Münchner rechtsgeschichtliche Dissertation setzt ein mit der Entwicklung des bayerischen Notariats in der Frühen Neuzeit. Ursprünglich habe es nur von Papst und Kaiser bestellte Notare gegeben, die allerdings vor dem kurfürstlichen Hofrat ein Examen ablegen mussten. Mit dem Untergang des Alten Reiches sei diese Konstruktion zusammengebrochen. Dennoch habe man im rechtsrheinischen Bayern nicht die Chance genutzt, ein unabhängiges Notariat nach französischem Vorbild zu errichten, wie es dann in der 1816 angegliederten Pfalz vorhanden gewesen sei. Im rechtsrheinischen Bayern wurde den Notaren vielmehr jetzt vor allen Dingen die Beurkundung von Wechselgeschäften übertragen. Zum einen, weil man damals für den Beweis der meist noch mündlich getätigten Rechtsgeschäfte mehr Zeugen und weniger Urkunden (dem Hauptgeschäfte des Notars) vertraut habe. Doch habe auch ein beträchtliches politisches Misstrauen gegenüber unabhängigen Notaren mit rechtlichen Funktionen bestanden. Das ist auch in den nächsten Jahrzehnten so geblieben, obwohl von liberaler Seite immer wieder eine Gerichtsverfassungsreform mit der Trennung der Verwaltung von der Rechtspflege und die Einführung des Notariats nach pfälzischem Muster mit der Trennung von Notar- und Richteramt gefordert wurde. Auch die Sympathien von König Ludwig I. für das pfälzische Notariat änderten daran nichts.

 

Leider lässt sich der Autor die Chance entgehen, näher auf die politischen Erfahrungen, die man in Bayern mit den pfälzischen Notaren machte, einzugehen. Das würde die Abneigung gegen dieses Institut im rechtsrheinischen Bayern verständlicher machen. Denn sie gehörten zu den führenden Kritikern der bayerischen Verhältnisse und zu den widerspenstigsten Abgeordneten in der bayerischen Ständeversammlung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wie der Autor überhaupt Mängel in der Kenntnis der bayerisch-pfälzischen Beziehungen in diesem Zeitraum zeigt, was sich gerade bei seinem Thema negativ auswirkt. So springt er auch völlig unvermittelt von der Errichtung eines neuen bayerischen Notariats zu Beginn des 19. Jahrhunderts zur Revolution von 1848, in der durch das Grundlagengesetz über die Gesetzgebung und die Gerichtsorganisation in Bayern der Anstoß zu einer Reform des Notariatswesens gelegt wurde, wie es bis heute besteht.

 

Der erste Anlauf zu einem Notariatsgesetz scheiterte 1851 in der Epoche der Restauration. Die Gründe dafür werden nur unzulänglich herausgearbeitet, da der Autor das Schicksal dieses Gesetzes fast nur mit Blick auf die Beratungen in der Kammer der Abgeordneten und der Reichsräte schildert. Zu eng ist auch die Sichtweise auf den erneuten Versuch zu einem Notariatsgesetz 1861. Zur Begründung, warum es jetzt gelungen ist, verweist der Autor lediglich auf die Zunahme von Rechtsgeschäften als Folge der Industrialisierung. Ihm entgeht vollständig, dass das Notariatsgesetz Teil einer umfassenden liberalen Reform des Justizwesens und zentraler Kodifikationen war. Sie war nun möglich aufgrund einer bestimmten politischen Konstellation. Im Landtag waren die Liberalen stark, da sie das Wahlrecht bevorzugte, und aufgrund des konstitutionellen Systems war die von ihnen gestützte königliche  Regierung nicht vom Landtag abhängig. Sie konnte umso freier agieren, weil sich König Ludwig II. lieber in Traumwelten flüchtete als sich um seine Regierungspflichten zu kümmern.

 

Höchst umstritten war während der Beratungen des Gesetzes der Status der Notare. Sie wurden vom König ernannt, sollten Beamte sein, aber keine Bezüge aus der Staatskasse, die eine solche Belastung gar nicht hätte tragen können,  erhalten. Eine solche Konstruktion passte nicht in das bisherige Schema bayerischer Staatsdiener. Die Lösung war, dass für die Notare, ein eigener Status geschaffen wurde, der des „öffentlichen Beamten“. Mit der kuriosen Folge, dass selbst bei Fronleichnamsprozessionen strittig war, in welche Berufsgruppe sich die Notare einzureihen hatten.

 

Decker führt für diese Konzeption des Notariats im Gesetz von 1861 vor allem fiskalische Gründe an. Notare wurden Beamte, damit der Staat nicht die Kontrolle über sie verlor, ausgeübt durch die Staatsanwaltschaft des jeweiligen Bezirks; sie waren unabhängig, weil sie ihre Einkünfte durch Gebühren aus ihrer Tätigkeit erzielen mussten. Deren Höhe wurde durch Verordnung geregelt. Um die Versorgung der Bevölkerung mit Notaren auch in armen und abgelegenen Gebieten sicherzustellen, hat der Staat ihnen aber ein Mindestgehalt von 800 Gulden garantiert. Wo dieser Betrag nicht erreicht wurde, schoss er zu. Das erübrigte sich aber bald. Schon 1863 gab es nur 6 Notare, die das Mindesteinkommen nicht erreichten. Das Durchschnittseinkommen lag bei dem eines hohen Richters, etwa 2.500 Gulden. Entsprechend beliebt wurde diese Tätigkeit. Um in deren Genuss zu kommen, wurde zum ersten Mal und im Gegensatz zu vielen Staaten Europa und des Deutschen Bundes ein bestandenes Examen für den Justiz-Staatsdienst neben praktischer Notariatserfahrung gefordert.

 

Zu Recht weist Decker darauf hin, dass das neue Notariat ein Erfolg gewesen sei und Bayern damit Maßstäbe gesetzt habe.  Es entlastete den Justizhaushalt, da die Notare auch Aufgaben der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit, um die sich bisher die unteren Gerichte gekümmert hatten, übernahmen. Die Privatautonomie der Bürger sei gestärkt worden und das Einkommen der Notare und damit auch ihr Prestige seien ansehnlich gewesen. Mit dem bayerischen Modell sei es in Deutschland erstmals zur Akademisierung und Professionalisierung des Notariats gekommen. Schließlich geht der Verfasser noch auf einen nicht unwichtigen Aspekt ein. Obwohl die bayerische Verfassung Religionsfreiheit gewährte, hatte das Zeugnis eines Juden in Prozessen einen geringeren Wert als das eines Christen. Mit Berufung darauf war Juden bisher auch der Zugang zum Staats- und Justizdienst verwehrt worden. Diese Diskriminierung wurde mit der Verabschiedung des Notariatsgesetzes beseitigt und damit Juden auch der Weg zu diesem Beruf frei gemacht. Schon 1862 hatten sich zwei jüdische Notare in Bayern niedergelassen. Der Ausschluss der Juden vom Richteramt wurde in den siebziger Jahren beseitigt.

 

Diese interessanten Informationen erfährt der Leser in einer Dissertation, die leider zu viele typische Fehler und Unzulänglichkeiten dieses Genres hat; sie hätten durch eine eingehendere Betreuung vermieden werden können. Selbst für eine rechtsgeschichtliche Studie konzentriert sich diese Dissertation viel zu eng auf die Entstehung und Beratung der Notariatsgesetze. Der Blick weitet sich so gut wie nie. Daher werden die politischen und historischen Umstände, die zu den Reformen geführt haben, auch nicht klar. Im Hinblick auf die Geschichte zeigen sich auch manche Mängel. So hat der Autor keine Probleme 1806 einen bayerischen König zu ernennen, von einem Ständestaat im 19. Jahrhundert zu sprechen und die Bürger noch in feudalen Abhängigkeitsverhältnissen zu sehen.

 

Die Arbeit wird durch viel zu lange und unnötige Zitate, vor allen Dingen von Gesetzestexten, aufgeschwemmt, zumal das Zitierte anschließend nochmals mit eigenen Worten wiederholt wird. Höhepunkt ist Teil III, in dem der Inhalt des Notariatsgesetzes von 1861 auf 80 Seiten nacherzählt wird! Über viele Seiten werden die immer selben Quellen bzw. Literaturtitel referiert. Geht der Autor auf Ausschussberatungen ein, dann werden zunächst einmal alle Mitglieder des Ausschusses namentlich aufgeführt!

 

Zu welch schiefen Wertungen die fehlenden historischen Kenntnisse führen können, wird beim Vergleich zwischen den pfälzischen und den bayerischen Notaren rechts des Rheins deutlich. Nach Ansicht des Verfassers haben sich die Pfälzer Notare um eine Verbesserung der Lebensverhältnisse durch radikale Demokratisierung, Protest und Ungehorsam bemüht. Hingegen hätten die bayerischen Notare und auch die Mitglieder der beiden Kammern eine Verbesserung der Lage in Bayern auf gesetzgeberischem Wege angestrebt. Diese Wertung liegt deswegen völlig daneben, da hier ganz unterschiedliche Zeiträume verglichen werden, nämlich die Pfalz vor 1848 mit Kernbayern um 1862. In den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts aber unterschied sich das Wollen der pfälzischen Notare nicht mehr von dem der bayerischen. Falsch ist auch die Aussage, dass Napoleon der Pfalz das Notariat aufgedrängt habe. Denn als Napoleon noch etwas zu sagen hatte, gab es die Pfalz noch gar nicht! Leider macht sich der Autor auch keine Mühe, seine Ergebnisse zusammenzufassen. Das Schlusskapitel besteht aus einem halbseidenen und halbseitigen Zitat aus den Verhandlungen der Kammer der Reichsräte von 1851.

 

Eichstätt / Römerberg                                                            Karsten Ruppert