Bremm, Klaus-Jürgen, Die Waffen-SS. Hitlers überschätzte Prätorianer. Theiss/Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2018. 362 S., 26 Abb., 8 Kart. Besprochen von Werner Augustinovic.
2014 hat der Rezensent an dieser Stelle mit Band 74 der Reihe „Krieg in der Geschichte“ des Verlagshauses Ferdinand Schöningh in Paderborn einen Band vorgestellt, der den Worten seiner Herausgeber Jan Erik Schulte, Peter Lieb und Bernd Wegner zufolge mit dem Anspruch auftrat, „der erste wissenschaftliche Sammelband zur Geschichte der Waffen-SS überhaupt“ zu sein. In den dort versammelten Beiträgen wurden nicht nur die einschlägigen, das Thema berührenden Forschungssektoren auf dem Stand der Zeit dargelegt, sondern auch „noch so manches unbearbeitete Forschungsfeld“ geortet. So erachtete man „innovative Ansätze und weitere Fallstudien [für] nötig, um die Frage zu beantworten, ob die militärischen Leistungen der Waffen-SS auf dem Schlachtfeld ihren Selbstanspruch als Elite wirklich begründen konnten“, weshalb „eine Operationsgeschichte der Waffen-SS […] des Forschens noch wert“ sei. Auch in der Frage der Kriegsverbrechen bestehe weiterhin Klärungsbedarf, weshalb systematische Vergleiche zwischen Wehrmacht und Waffen-SS für den südosteuropäischen und vor allem für den sowjetischen Kriegsschauplatz wünschenswert seien. Ein weiteres Desideratum erblickten die Schöpfer dieses Bandes damals in wirkungsgeschichtlich orientierten Untersuchungen zur Propaganda und zu den Folgen und Kontinuitäten der Geschichte der Waffen-SS. 2017 konnte Jochen Lehnhardt unter dem Titel „Die Waffen-SS: Geburt einer Legende“ – auch über diese Arbeit hat der Rezensent berichtet – nachweisen, wie sehr das gängige Bild der soldatischen Elite von dem SS-eigenen Propagandaapparat geformt und geschickt über die Medien verbreitet worden ist, sodass es bis in die unmittelbare Gegenwart immer noch in die Darstellungen diverser Historiker und Publizisten einfließt.
In die monierte Forschungslücke stößt nun auch die zur Besprechung vorliegende Arbeit des Militärhistorikers und Publizisten Jürgen Bremm. Der Schutzumschlag (Rückseite) verheißt in knalligem Rot „Die Entzauberung des Mythos der Waffen-SS“ und deren Kämpfer erscheinen im Untertitel nicht weniger plakativ als „Hitlers überschätzte Prätorianer“. Die Botschaft ist unmissverständlich: Was über die Waffen-SS lange kolportiert worden ist, nämlich ihre Eigenschaft einer militärisch überlegenen und besonders erfolgreichen Truppe, hält offenbar einer kritischen Prüfung nicht stand. In seiner Einleitung verweist der Verfasser auf verschiedene Studien, die mittlerweile „die langlebige Legende vom reinen Soldatentum der Waffen-SS überzeugend entlarvt und überdies gezeigt (haben), dass so gut wie alles, was im Krieg und vor allem danach an Behauptungen und Darstellungen über Himmlers Krieger produziert wurde, häufig nicht mehr als Mythen der Propaganda oder zuletzt sogar Selbstbetrug der Überlebenden war. Allein das markige Bild von der Waffen-SS als militärischer Elite des Regimes blieb bis heute – trotz sehr guter Quellenlage für die Zeit von 1940-1943 – von der Forschung ausgespart und unangetastet“. Deshalb wolle sich sein aktuelles Werk „im Rahmen einer kritischen Gesamtdarstellung der Waffen-SS besonders der Frage nach den militärischen Qualitäten von Himmlers Kriegern widmen“, indem gezeigt werde, „wie sie tatsächlich auf den Schlachtfeldern kämpften“ (S. 15f.).
Das der Einleitung folgende erste Kapitel vermittelt, wie sich in der Vorkriegszeit aus Hitlers persönlicher Leibwache, der SS-Leibstandarte Adolf Hitler, aus den den Dienst in den Konzentrationslagern ausübenden SS-Totenkopf-Standarten und aus der aus Himmlers Politischen Bereitschaften aufgewachsenen SS-Verfügungstruppe nach der Ausschaltung der SA im Juni 1934 unter wohlwollender Duldung durch die Reichswehr die spätere Waffen-SS formierte. Bereits in diesem Stadium habe es aus verschiedenen Gründen große Schwierigkeiten bereitet, die zusammengeführten Elemente militärisch professionell zu schulen, die als Kaderschmieden eingerichteten SS-Junkerschulen in Bad Tölz und Braunschweig hätten ihre ambitionierten Aufgaben „nie erfüllen können. Zu kurz war die Ausbildungszeit, zu heterogen die Herkunft der Lehrer und Absolventen und oft zu dürftig deren schulische Vorbildung. […] Vieles blieb Stückwerk. Fraglos kam für die Waffen-SS der Krieg zu früh“ (S. 63). Die folgenden Kapitel stellen dar, in welchem organisatorischen Rahmen die SS-Truppen zunächst in Polen, dann im Westfeldzug und auf dem Balkan und schließlich in der Sowjetunion bis 1943 offensiv, dann in der Defensive kämpften, ob sie sich jeweils bewährten oder nicht und inwieweit sie Kriegsverbrechen begingen. Drei jeweils doppelseitig gedruckte Schaubilder im Anhang (S. 296 – 301) vergegenwärtigen die Ausdifferenzierung der einzelnen Divisionen und sonstigen Kampfverbände der Waffen-SS im Verlauf des Zweiten Weltkriegs. Ein letztes, fünftes Kapitel beschäftigt sich mit dem Einfluss der Veteranen der Waffen-SS im Nachkriegsdeutschland, bevor ein Fazit im Umfang von acht Druckseiten die Darstellung abschließt.
Klaus-Jürgen Bremms operationsgeschichtliche Betrachtung führt zur Conclusio, dass sich aus der Realität der Kampfeinsätze tatsächlich starke Zweifel am propagandistisch forcierten Bild der Waffen-SS als einer in ihrer Gesamtheit überlegenen militärischen Elite ergeben. Nicht zuletzt sei die Frustration darüber, den eigenen Ansprüchen nicht zu genügen, eine Ursache für manche der dieser Truppe anzulastenden Kriegsverbrechen gewesen. Über den erstmalig geschlossenen Einsatz der Verbände der Waffen-SS in Nordfrankreich 1940 hält der Verfasser fest: „Gegen die gut geführten britischen Truppen, Soldaten einer verpönten bürgerlichen Demokratie, hatten sich die ideologisierten Elitekämpfer der SS-‚Leibstandarte‘, ‚Reich‘ und ‚Totenkopf‘ nicht entscheidend durchsetzen können. Einige Kompanien begingen dabei wohl aus enttäuschter Selbstüberschätzung bei Le Paradis und Wormhoudt sogar massive Kriegsverbrechen an britischen Kriegsgefangenen“ (S. 288). Auch in den Schlachten während der alliierten Invasion 1944 seien „nur für die 12. SS-Panzer-Division ‚Hitlerjugend‘ (herausragende Kampfleistungen) belegbar […]. Die übrigen Verbände der Waffen-SS kämpften dagegen durchschnittlich und erzielten nicht einmal örtliche Erfolge“ (S. 292). In den verlustreichen Abwehrkämpfen des Spätherbstes 1941 im Osten „schienen die Divisionen der Waffen-SS ihre wahren militärischen Tugenden […] gezeigt zu haben“, aber auch hier habe „bei genauerer Betrachtung Himmlers Truppe selbst dort, wo sie wie bei Charkow im März 1943 militärisch erfolgreich war, nicht immer effektiv operiert“. Zudem seien faktisch oft größere Niederlagen durch das Betonen örtlicher Erfolge der SS-Divisionen geschickt verschleiert und umgedeutet worden, lieferte man doch so „dem plötzlich in Erklärungsnot geratenen Regime den dringend benötigten propagandistischen Rettungsanker“ (S. 288f.). Viele „Erfolge“ hätten einfach auch auf dem Usus der SS-Verbände beruht, „sich regelmäßig selbst in ihren Meldungen ins rechte Licht zu rücken“ (S. 290) und dabei die Leistungen beteiligter Heeresverbände kurzerhand zu unterschlagen. Zudem würde sich im Vergleich mit diversen Wehrmachtstruppen weder eine höhere Verlustquote der Waffen-SS (für kritische Militärexperten ohnehin nur ein Beleg für mangelnde militärische Professionalität) noch eine höhere Zahl an hohen Auszeichnungen (deren Verleihung wiederum bisweilen fragwürdigen und kaum nachvollziehbaren Kriterien gefolgt sei) bestätigen. Eine überdurchschnittliche Materialausstattung hätten in der Waffen-SS nur die drei Stammdivisionen aufgewiesen. Vor allem durch „Himmlers fatale Praxis der Expansion um jeden Preis“ (S. 293) sei es zunehmend zu einer personellen Ausdünnung, einem hohen Fehlbestand an Führern und Unterführern, zu Qualitätseinbußen im Hinblick auf das rekrutierte Personal, zu Einsatzverzögerungen und ressourcenverzehrenden Doppelgleisigkeiten und Konflikten zwischen Waffen-SS und Heer gekommen. Alles in allem ergebe sich, so der Verfasser, damit für die Waffen-SS eine „eher durchschnittliche Bilanz“, die er wie folgt charakterisiert: „Obwohl ihnen die von Hitler erhofften spektakulären Erfolge versagt blieben, erwiesen sich die Divisionen der Waffen-SS fast bis zuletzt als durchaus zuverlässige Verbände, auf die vor allem in der Verteidigung Verlass war. Unter den gegebenen Möglichkeiten leisteten sie das Machbare. Eindeutiges militärisches Versagen war selten und beschränkte sich auf nur zwei Fälle“ (S. 294). Zwischen der festgestellten Sachlage und dem daraus abgeleiteten Urteil klafft hier jedoch eine Diskrepanz, denn es ist mit Sicherheit besser als nur durchschnittlich, während des gesamten Krieges im Rahmen der Möglichkeiten stets das Machbare geleistet und dabei nicht öfter als zweimal (Murmanskfront 1941 und Brody 1944; vgl. S. 339, Anm. 32) versagt zu haben. Lässt man die gängigen propagandistischen Übertreibungen beiseite, ist eine bessere Performance in der Realität des Kriegsgeschehens nur schwer vorstellbar. Wenn festgehalten wird, dass, was die Divisionen der Waffen-SS angeht, „die Zahl ihrer Niederlagen die ihrer Siege deutlich (überstieg)“ (s. 288), so relativiert sich der Aussagewert dieses Befundes in Anbetracht der Tatsache, dass sich die gesamte deutsche Streitmacht ja für eine lange Zeit gegen einen seine zahlenmäßige und materielle Überlegenheit stetig steigernden Gegner auf überdehnten Fronten im Abwehrkampf zu behaupten hatte, ein militärisches Katastrophenmanagement, in dem Niederlagen zwangsläufig zur täglichen Routine und Siege zur raren Ausnahme wurden.
In ihrer Nachkriegslobbyarbeit im Rahmen der „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit“ (HIAG) seien die Veteranen der Waffen-SS jedenfalls „erfolgreicher als im Krieg“ gewesen, indem es ihnen für einen beachtlichen Zeitraum gelungen sei, „die Deutungshoheit ihrer Geschichte“ an sich zu ziehen (S. 271). Ihrer eigenen Legende nach seien die Angehörigen der Waffen-SS „Soldaten wie andere auch“ (Titel des 1966 erschienen, einschlägigen Werks des ehemaligen SS-Oberstgruppenführers und Generalobersten der Waffen-SS Paul Hausser) gewesen, die mit den der SS als solcher angelasteten Verbrechen nichts zu tun gehabt hätten. Eine grundlegende Spaltung sei jedoch bestehen geblieben und habe in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre endgültig in die gesellschaftliche Isolation und Ende 1992 zur Selbstauflösung der HIAG geführt: „Während die Basis der HIAG durchweg auf alten ideologischen Positionen beharrte, waren ihre Repräsentanten wie Hausser, Steiner und Gille um moderate Töne bemüht und suchten […] den Schulterschluss mit der Politik“ (S. 274) – ein Spagat, der auf Dauer nicht gutgehen konnte.
Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit sollten in jedem Fall Anstoß dafür sein, die Thesen ihres Verfassers anhand von Detailstudien näher zu prüfen, zu ergänzen und ihre Validität durch zahlenbasierte Befunde zu erhärten. Dass die Kampfkraft der einzelnen Verbände der Waffen-SS vor allem infolge der ständigen Neuaufstellungen stark voneinander abwich, ist keine neue, sondern eine lange bekannte Einsicht. Sinn würde es machen, die von Truppen der Waffen-SS begangenen Kriegsverbrechen nicht nur im Zusammenhang mit den jeweiligen Operationen, sondern darüber hinaus eigenständig in systematischer Analyse zu thematisieren und zu vergleichbaren, Wehrmachtsverbänden anzulastenden Delikten sowohl quantitativ als auch qualitativ in Beziehung zu setzen. So verdienstvoll sicherlich diese erste, auf die militärischen Operationen fokussierende Überblicksgeschichte der Waffen-SS einzuschätzen ist, so unverständlich sind die vielen Nachlässigkeiten, die im Einzelnen die Darstellung beeinträchtigen. Diese betreffen etwa die unrichtige oder in mehreren Varianten auftretende Schreibung von Vor-, Familien und Ortsnamen (z. B.: richtig „Anton Adriaan Mussert“ S. 12, falsch „Musert, Anton Adrian“ im Register S. 359; richtig „Heinz Lammerding“ S. 206, falsch „Hans“ S. 201 und im Register S. 358; richtig „Gustav Krukenberg“ S. 266 u. 268, falsch hingegen „Kruckenberg“ im Register S. 357; richtig „Herbert Brunnegger“ S. 132, falsch jeweils „Brunneger“ im Literaturverzeichnis S. 343 sowie „Brunegger“ im Register S. 353; falsch „Karlovav“ S. 251 statt richtig „Karlovac“) oder auch die Datierung von Publikationen (das oben erwähnte, 2017 veröffentlichte Werk Jochen Lehnhardts wird im Literaturverzeichnis S. 346 auf „2007“ datiert). Im Register sind die Namen der Verzeichneten (mit Ausnahme der prominentesten politischen Exponenten des NS-Regimes wie Hitler, Himmler, Goebbels oder Heß) in aller Regel mit ihrem Dienstgrad oder ihrer Funktion gelistet; warum diese Zusätze aber etwa bei Friedrich Jeckeln oder Gustav Lombard fehlen, obwohl beide zweifellos sowohl über entsprechende, im laufenden Text erwähnte Funktionen als auch SS-Dienstgrade verfügten, ist nicht nachvollziehbar. Dadurch verhaftet der ungünstige Eindruck einer in großer Eile erstellten Schrift, deren letzte Version ohne weitere Prüfung unmittelbar in den Druck gelangt sein könnte.
Kapfenberg Werner Augustinovic