Böttger, Lutz, Die Entwicklung des Strafprozessrechts in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts (= Beiträge zur Strafrechtswissenschaft 20). LIT, Berlin 2016. XXI, 302 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Der Strafprozess als das gerichtliche Verfahren, in dem über das Vorliegen einer Straftat und die dafür zu verhängende Strafe verhandelt wird, unterscheidet sich bereits in dem altrömischen Recht von dem privaten Prozess, wobei in Rom ohne weiteres von dem privaten Prozess in den Strafprozess gewechselt wird. In dem 12. Jahrhundert wird diese Unterscheidung erneut aufgegriffen, wobei Frankreich auf kirchlichen Wurzeln dem Heiligen römischen Reich voranzugehen scheint und beispielsweise Johann von Buch (um 1290-nach 1356) die Teilung der Klagen in peinliche, bürgerliche und gemischte Klagen aufgreift. Seit dieser Zeit ist das Strafprozessrecht in wohl unaufhörlicher und kaum voraussehbarer Entwicklung oder zumindest Veränderung.

 

Mit einem besonderen Teilaspekt dieses Vorgangs beschäftigt sich die von Thomas Vormbaum angeregte und Betreute, in dem Sommersemester 2015 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Fernuniversität Hagen angenommene Dissertation des in dem Sommersemester 2009 an einem strafrechtsgeschichtlichen Seminar seines Betreuers in Münster teilnehmenden Verfassers. Sie gliedert sich nach einer Einleitung über den Gegenstand der Untersuchung, den Gang der Untersuchung und den Forschungsstand in neun Sachkapitel. Sie betreffen das Strafprozessänderungsgesetz 1964, die Haftrechtsnovelle von dem 7. August 1972, das Einführungsgesetz zu dem Strafgesetzbuch 1974/1975, das erste Gesetz zu der Reform des Strafverfahrensrechts von dem 9. Dezember 1974, das Gesetz zu der Ergänzung des ersten Gesetzes zu der Reform des Strafverfahrensrechts von dem 20. Dezember 1974, das „Anti-Terror-Gesetz“ von dem 18. August 1976, das „Kontaktsperregesetz“ von dem 30. September 1977 und das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 von dem 5. Oktober 1978.

 

In seinem zusammenfassenden Ergebnis seiner ansprechenden Untersuchung kann der Verfasser den Untersuchungszeitraum hinsichtlich des Untersuchungsgegenstands in vier nicht immer klar voneinander trennbare, aber eindeutige Abschnitte einteilen. An dem Beginn steht eine Liberalisierung, der ab 1970 eine Ökonomisierung der Kriminalitätsbekämpfung und der tagespolitischen Zweckmäßigkeit sowie von 1975 bis 1978 eine reaktive und restriktive Antiterrorgesetzgebung folgen, bis mit dem Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 die frühere Ökonomisierung wieder aufgegriffen wird. Resümierend konstatiert sie mit Schroeder, dass in dem Ringen zwischen den Interessen des Angeklagten und der Allgemeinheit an dem Ende der Untersuchungszeit das Strafverfahren durch die Verminderung von Einwirkungsmöglichkeiten der Verteidigung und die Verringerung kontradiktorischer Elemente geglättet und durch die Überbewertung von Gesichtspunkten der Effektivität die Technokratie in den Strafprozess aufgenommen wird.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler