Arlinghaus, Franz-Josef, Inklusion - Exklusion. Funktion und Formen des Rechts in der spätmittelalterlichen Stadt. Das Beispiel Köln (= Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und früher Neuzeit 48). Böhlau, Köln 2018. 464 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Der Titel des vorliegenden Werkes ist sehr weit gefasst. Er eröffnet vielfältige Möglichkeiten. Im Mittelpunkt steht lediglich die Stadt Köln mit ihrem Recht in dem Spätmittelalter.

 

Nach dem Vorwort wurde das Werk des 1960 geborenen, nach einer Ausbildung zum Tischler von 1983 bis 1991 in Münster und Madrid mittlere Geschichte, Romanistik, Pädagogik und Wirtschaftspolitik studierenden, 1997 in Münster mit einer Dissertation unter dem Titel Zwischen Notiz und Bilanz – zur Eigendynamik des Schriftgebrauchs in der kaufmännischen Buchführung am Beispiel der Datini/di-Berto-Handelsgesellschaft in Avignon (1367-1373) promovierten Verfassers in dem Oktober 2006 als von Ingrid Baumgärtner begleitete und geförderte Habilitationsschrift an der Universität Kassel eingereicht und 2016/2017 durchgesehen, wobei die zwischenzeitlich erschienene Literatur zu dem Themengebiet aus Zeitgründen nur punktuell aufgenommen und eingearbeitet werden konnte. Es hat dem Verfasser große Freude bereitet, seinem „Team“ dabei zuzusehen, wie es mit großem Einsatz selbständig und reibungslos die nicht ganz einfachen Abläufe aufeinander abstimmte.

 

Die vorliegende Arbeit will eine Brücke schlagen zwischen den grundlegenden Strukturen der spätmittelalterlichen Stadtgesellschaft und den in ihr ausgebildeten Formen der Streitschlichtung. Sie geht dazu von einer mehr oder weniger alltäglichen Begebenheit des Jahres 1431 aus, nach der die Brüder Daym und Anthoenis van Weislinck gegen ein Verfahren vor dem Kölner Hochgericht eine Einrede (Inhibitie) des kirchlichen Gerichts erwirkt hatten. In diesem Zusammenhang geht es dem Verfasser nicht um tatsächlich durchgeführte Exklusion, sondern darum, die durch den Konflikt gegebene Infragestellung von „Zughörigkeit“ perspektivisch als Leitelement des Verfahrens dingfest zu machen.

 

Dazu gliedert er seine neuartige Studie nach der Einleitung in fünf Sachabschnitte. Sie betreffen die Grundlagen (theoretischer Ansatz, Analysewege und Quellengrundlage), einen Überblick über die Gerichte in Köln, den organisatorischen Rahmen der Gerichtsorte und des Personals, die Kommunikationsformen Gesten, Rituale, Sprachformeln und Schrift in dem Hochgerichtsverfahren und den Ratsgerichten sowie die Formen manifester Exklusion (Stadtverweis, Hinrichtung). Ausgegangen wird dabei unter Bezug auf Max Weber und Niklas Luhmann von der Annahme, dass Konflikte an sich die Zugehörigkeit der Streitenden zu der spätmittelalterlichen Stadt gefährdeten, wobei das gesamte Prozessgeschehen durch die Infragestellung von Zugehörigkeit geprägt war, weil das Gericht der Ort war, an dem über Inklusion/Exklusion verhandelt wurde.

 

In dem Ergebnis seiner eigenständigen, gedankenreichen Studie sieht der Verfasser das Rechtswesen der spätmittelalterlichen Stadt bei seinen Operationen auf eine gesamtgesellschaftliche Grundunterscheidung zurückgreifen. Von hier aus fragt er, ob diese relative Spezialisierung bei Bearbeitung einer gesamtgesellschaftlichen Leitdifferenz auch für andere Teilbereiche der spätmittelalterlichen Gesellschaft fruchtbar gemacht werden kann. Nach seiner Erkenntnis scheint der Vormoderne eine radikale Exklusion, die keineswegs als defizitär betrachtet wurde und in der Moderne in dieser Form kaum vorstellbar ist, als Fluchtpunkt nicht nur des Gerichtswesens eingeschrieben gewesen zu sein.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler