Amini, Seyavash, Digitale Kultur zum Pauschaltarif? Nomos, Baden-Baden 2017. 377 S. Besprochen von Albrecht Götz von Olenhusen.
„Anlass, Inhalt und Grenzen einer Vision für das Urheberrecht der Zukunft“ lautet der anspruchsvolle und vielverheißende Untertitel einer Studie (zugleich Diss. München 2016), die sich den Gestaltungsgrenzen von Pauschalvergütungsmodellen für die Internetnutzung von immateriellen Gütern namentlich von Musik und Film umfassend widmet.
Nach einem Abriss des digitalen Verwertungsumfelds wird das juristische „digitale Dilemma“ der Funktionsstörungen und Defizite des geltenden Urheberrechts subtil dargestellt und diskutiert. Kompensationsprobleme und Kontrollprobleme bilden weitere Sachgegenständet. Die Analyse der Modelle, deren Umsetzungsmöglichkeiten und Funktionen, die Vorteile und Nachteile, die Schärfe der gegebenen Grenzen nationalen und internationalen Rechts werden durch ein eigenes Modell des Verfassers vervollständigt. Er sieht sein Ergebnis selbst als „visionär“ an, das an höherrangigem Recht und der Informationsrichtlinie scheitern müsse (S. 325).
Seine im Detail ausgefeilte Rahmenvorstellung, die er aber dennoch als rechtlich realisierbares Konzept ausbreitet (europäische Institutionalisierung der Kulturflatrate, Kumulierung eines umfassenden Verwertungsrechts, einfacher Erwerb von Nutzungsrechten, freiwillige Teilnahme von Rechtsinhabern zugleich gesetzlicher Regelfall der Teilnahme aber mit Opt-out-Möglichkeit) stellt in der Tat eine wagemutig in das an Bruchstellen reiche Feld der Utopie sich vorwagende Konzeption dar.
Dennoch sind solche zunächst einmal als Ausgeburten freier Fantasie gerne abqualifizierte Denkübungen für ein gesetzliches Pauschalvergütungsmodell bedenkenswert. Allein die hier vorgelegten rechtstatsächlichen Befunde über die Defizite des tradierten Urheberrechts im digitalen Zeitalter und die Problemfelder nationaler und internationaler Produktion, Verwertung und Rezeption bereichern das Gesamtspektrum zum Teil systemimmanenter Lösungen von Verwertungsfragen und Zugangsfragen. Ein optionales Schrankenmodell auf der Basis vergütungspflichtiger gesetzlicher Nutzungsbefugnisse könnte den Fragmentierungen, den Kontrollverlusten und Tantiemeverlusten entgegenwirken, auch wenn die Arbeit selbst reichhaltige Argumente gegen die utopische Umsetzung irgendeines in Umrissen erkennbares „ganzheitlichen Pauschalmodells“ explizit mitliefert.
Angesichts punktueller und regelmäßig temporär gültiger rechtspolitischer Implementierungsmühen der gesetzgeberischen Ebenen mit ihrer reduzierten Reparationsbetriebsamkeit ist dieser lesenswerte, anregende und phantasiereiche Versuch eines radikalen Durchbruchs so begrüßenswert wie die freilich bisher realiter schale Hoffnung auf die Realisierung digitaler Regenbögen im märchenhaften rechtspolitischen Zauberwald.
Wenn in Teil 1 die gesellschaftlichen und rechtlichen Implikationen des digitalen Verwertungsumfelds umrissen werden, wird die Aussagekraft von Studien über die Umsatzrückgänge der Kreativwirtschaft in Zweifel gezogen. Zwischen der Unterhaltungsindustrie der Wissenschaftsverlage, der Zeitschriftenmärkte und der Game- und Software-Unternehmen ist in der Tat zu differenzieren. Die Verluste klassischer Medien wie Rundfunk und Fernsehen an Sehern und Zuhörern hat mit Rechtsverstößen in digitalen Bereichen wohl eher am Rande zu tun; die Zuwächse von Internetverbreitungsformen und Portalen zeigen, dass die Ursachen für die Veränderungen von Produktions-, Verwertungs- und Rezeptionsbereichen komplexer und tiefgründiger sind, als dass sie mit einfachen Erklärungsmodellen begreifbar sind.
Die unübersehbaren Symptome von Fehlfunktonen im Urheberrecht der Informationsgesellschaft haben dazu geführt, im Urheberrecht die Quelle des Übels, den Sündenbock zu sehen, der für die Rückgänge von Gewinnmargen haftbar zu machen ist und dem auch der Makel anhaftet, für die Legitimitätskrise des Rechtsgebiets die alleinige Ursache darzustellen.
Wenn sich die Perspektiven des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft (Kap.3) u.a. auf den sog. Schrankenkatalog richten, welcher der systematische Ort sein soll, in dem sich widerstreitende Interessen wie in einem riesigen Sanatoriumskomplex harmonisch ausgleichen und als heilbar erweisen sollen, wird Art. 5 INFO-RL schnell als unüberwindbares Hemmnis ausgemacht. Zu ihm gesellt sich der bekannte hartgesottene Dreistufentest, die ominöse Schranken-Schranke legislativer Mühen um flexiblere nationale Lösungen.
Wer sich von der Optimierung kollektiver Rechtewahrnehmung das Allheilmittel verspricht, wird Kulturflatrate-Modelle mit modernen demokratisch strukturierten und am Gleichheitssatz orientierten Verwertungsgesellschaften, eine effektive Aufsicht inclusive, kombinieren müssen. Der rechtshistorische Blick auf die jahrzehntelang sichtbaren, weitgehend erfolglosen beklagten Mangelerscheinungen des Systems der Verwertungsgesellschaften, das sich zuweilen unter dem Aspekt notwendiger Alimentation von primären Urheberberechtigten durch tendenzielle Hungerödeme auszeichnet, stimmt den Betrachter eher kritisch-pessimistisch.
Ob Pauschalvergütungen der Stein der Weisen sein können, wird dann zweifelhaft, wenn eine systemimmanente Lösung bevorzugt wird (Kap. 4). Der Verfasser diskutiert die elaborierten Lösungswege diverser Autoren, etwa u. a. von William Fisher oder Jessica Litman (S. 192 ff.). Globale Lizenzlösungen nach französischen Ideen und der Ausbau von Schranken nach deutschen Vorstellungen wurden wie üblich zum Zankapfel der Interessentenkreise und damit letztlich wenig verdaulich.. Zwangslizenzen und kollektive Rechtewahrnehmung werden ebenso diskutiert wie die aus nordischen Staaten bekannten „extended licenses“ mit ihren tarifähnlichen Aushandelsmodellen und Vertragsmodellen oder das „Bipolar Copyright System“ Alexander Peukerts als rechtsverträgliches Zusatz-Geschäftsmodell.
Mit den Vorgaben nationaler und internationaler Grenzen n dem fünften Teil des Werkes ist namentlich das Verfassungsrecht und der Stand der urheberrechtlichen Unionsrechte angesprochen. Hier liegt im Schrankenkatalog der Info-RL der Kern der Diskussion. Amini hält – insofern abseits seiner von ihm selbst als utopische Vision charakterisierten Studie – bestimmte Modelle europarechtlich und konventionsrechtlich für zulässig (S. 317f.). Die europarechtlichen Grenzen der Harmonisierungsschritte sind nicht ohne stacheldrahtartige Zäune.
Wie de jure umsetzbar, wie interessengerecht und praktikabel es sein könnte, wird weiterhin die Frage sein, um die sich alle solchen Modell-Entwürfe drehen. Aber auch Amini scheint nur zu „erahnen“, wie sich die Produktionsmittel und Distributionsmittel der Kultur des 21. Jahrhunderts im „digitalen Aggregatzustand“ aufgrund der Entwicklung der letzten 25 Jahre in der Vision der „Kulturkommunikation“ im Jahre 2040 darbieten werden. Die Juristen sehen nicht gerne als Propheten aus dem Markt der Zukunft. Auch die Sozialwissenschaft und die Kommunikationswissenschaft lässt manche interdisziplinär fundierte Prognosen im Stich. Das Pay-Per-Use-Modell und die weitgehendere digitale Zugangskultur stehen immer wieder praktisch wie theoretisch auf dem Prüfstand. Aminis Modell schließt Überlegungen einer europäischen digitalen Flatrate mit ein (S. 326ff.). Aber auch dafür sind die Hürden im internationalen und supranationalen Urheberrecht hoch (markante Liste der Mindestrechte S. 334ff.).
Ob sich durch die ökonomische und technische Entwicklung ein neuer, aus der Geschichte des Urheberrechts mutatis mutandis nicht unbekannter Paradigmenwechsel schon als notwendig oder als Ergebnis zwangsläufiger Entwicklungen abzeichnet, ist eine rechtshistorisch interessante, aber für die Rechtspolitik eher sekundäre Frage. Der Verfasser beschließt seine mehr als nur instruktive und in vielfacher Hinsicht weiterführende und anregende Studie mit dem frohgemuten Appell an das „politische Wollen“ – womöglich als imaginär anmutenden Silberstreifen am Horizont. Das große Wort des verehrten Gelehrten J.A. L. Sterling zu „future of copyright“ scheint einer seiner Leitlinien gewesen zu sein: „As a way to arrive at the truth, exactitude and methodology are, in the end, far inferior to vision and apotheosis“ (Sterling, in: IIC 2002, 464, 484).
Düsseldorf Albrecht Götz von Olenhusen