Wie pandektistisch war die Pandektistik? Symposion aus Anlass des 80. Geburtstags von Klaus Luig am 11. September 2015, hg. v. Haferkamp, Hans-Peter/Repgen, Tilman. Mohr Siebeck, Tübingen 2017. 308 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Pandektistik (Pandektenwissenschaft) ist nach allgemeinem Verständnis die Wissenschaft von dem den Pandekten Justinians (527-534) entnommenen römischen Privatrecht im 19. Jahrhundert. Ihre Grundgedanken finden sich bei Savigny (1779-1861, System des heutigen römischen Rechts 1840ff., Privatautonomie [Kant], Grundsätze, widerspruchsfreies System, Vorrang der Wissenschaft). Das Hauptwerk stammt von Savignys Schüler Georg Friedrich Puchta (1798-1846, Lehrbuch der Pandekten 1838, Cursus der Institutionen 1841), der darin eine zusammenfassende Darstellung der gesamten Regeln des Privatrechts auf der Grundlage auch der nichtrömischen Quellenbereiche als dem Gegenstand nicht angemessen ablehnt.

 

Das vorliegende Werk vereint die Beiträge zu einem unter dem Thema des Titels in Köln vom 10. bis 12. September zu Ehren des 80. Geburtstags Klaus Luigs abgehaltenen Symposion. Auf ihm sollte eine Abgrenzung des schillernden, nach Ansicht der Herausgeber schillernden, meist in pejorativem Sinne als Beschreibung für eine Rechtswissenschaft verwendeten Begriffs erfolgen. Ziel war es, die Zuschreibungen zu diesem Begriff näher zu ergründen und dabei ganz bewusst eher dogmatisch und dogmengeschichtlich arbeitende „Romanisten“ und eher wissenschaftsgeschichtlich forschende „Germanisten“ unmittelbar miteinander ins Gespräch zu bringen.

 

Insgesamt stellt der schlicht-elegante Sammelband dabei zwölf Beiträge der Allgemeinheit zur Verfügung. Sie beginnen mit einer Einleitung der Herausgeber. Sie gliedert sich in die mit Rudolf Jherings 1884 vorgelegter Untersuchung über Scherz und Ernst beginnende Diskussion über den Begriff Pandektistik die Art des Zugriffs, die Pandektistik als Treibhaus rechtswissenschaftlicher Ideen (ad fontes, Verhältnis zum Naturrecht, Systematik, Verwissenschaftlichung, Pandekten und Leben) und eine Übersicht über die anschließenden Beiträge.

 

Im Anschluss hieran behandelt Franz-Stefan Meissel Stil und Methoden der österreichischen Pandektistik an Hand des Verhältnisses Joseph Ungers zu dem römischen Recht, während Martin Avenarius auf die Ablösung der Dogmatik von dem positiven Recht und die Weiterentwicklung des Rechtsdenkens in Russland ausgreift, Marju Luts-Sootak die Universalität der Pandektenwissenschaft an dem Beispiel der baltischen Privatrechtswissenschaft nach der Kodifikation von 1864 prüft und sich Riccardo Cardilli dem römischen Recht der Pandektistik  in dem Verhältnis zu dem römischen Recht der Römer widmet. Ulrich Falk erörtert die Haftung des Konkursverwalters in der Rechtsprechung des Reichsgerichts vor 1900, Nils Jansen  auf der Suche nach Naturrechtsfäden in dem Gewebe pandektistischer Theoriebildung drei Beispiele aus dem Schuldrecht, Boudewijn Sirks Mühlenbruch als fragwürdigen Pandektisten, Joachim Rückert die möglichen pandektistischen Leistungsstörungen und Thomas Rüfner die Auswirkungen der Pandektistik auf das Prozessrecht. Am Ende befasst sich Martin Schermaier unter dem Leitgedanken „nicht mit Willkühr (!) ersonnen, sondern seit Jahrhunderten bereitet“ mit der nicht unproblematischen Auslegung römischer Quellen bei Savigny, während Jan Schröder die aequitas/Billigkeit in der Rechtstheorie des 19. Jahrhunderts ergründet.

 

Abgeschlossen wird der Band mit einem Autorenverzeichnis, während ein Sachregister ausgespart bleibt. Im Ergebnis stellt die Ehrung Klaus Luigs nach dem Werbetext dem Zerrbild einer lebensfremden begriffsjuristischen Pandektistik einen modernen Blick auf die Pandektenwissenschaft des 19. Jahrhunderts entgegen. So wie das erste vielleicht aus verständlichen Gründen überzeichnet scheint, so dürfte das zweite eher eine Mehrzahl von Einzelblicken als ein endgültiger Gesamtblick auf die Pandektizität der Pandektenwissenschaft sein, so ertragreich die interessanten Einzelstudien auch in vielfältigen Hinsichten sind.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler