Walterskirchen, Gudula, Die blinden Flecken der Geschichte. Österreich 1927-1938. Kremayr & Scheriau, Wien 2017. 223 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Soweit dies dem Menschen ersichtlich ist, geschieht das Geschehende, mag es auch von subjektiven Vorstellungen getragen sein, objektiv. Dessenungeachtet stellt sich ihm der nachträgliche Betrachter ziemlich oft subjektiv gegenüber, weil es ihm behagt oder missfällt. Aus diesem Grunde werden positiv erscheinende Ereignisse grundsätzlich positiv und häufig erwähnt, negativ aufgenommene Geschehnisse dagegen häufig verschwiegen oder umgedeutet.

 

Mit einem speziellen Einzelaspekt dieser Problematik beschäftigt sich das vorliegende Werk der in Sankt Pölten 1967 (als Gudula Schrittwieser) geborenen, in Geschichte und Kunstgeschichte in Graz und Wien ausgebildeten, 2000 in Wien mit einer Dissertation über den Adel in Österreich im 20. Jahrhundert promovierten, nach einer fünfjährigen Tätigkeit bei der Tageszeitung Die Presse als freie Schriftstellerin wirkenden Verfasserin. Es gliedert sich nach einem Vorwort und einer Zeittafel in fünf chronologisch geordnete Abschnitte. Sie betreffen den blutigen Auftakt mit Schattendorf und dem Gemetzel vom Juli 1927, den Arbeiteraufstand, Bürgerkrieg oder Putschversuch von dem Februar 1924, den Ständestaat oder Austrofaschismus, die Stellung Österreichs als Opfer oder Täter des Anschlusses 1938 und die Gedenkkultur.

 

Im Ergebnis ihrer interessanten und eindrucksvollen Darstellung hält es die Verfasserin zutreffend für besonders wichtig, dass es gelingt, die sehr umstrittenen Phasen der österreichischen Zeitgeschichte ausgewogen, kritisch hinterfragend und unabhängig von ideologisch motivierten Positionen zu beschreiben. Dabei sollte niemand für sich eine ausschließende Deutungshoheit in Anspruch nehmen. Nur auf diese Weise können die blinden Flecke der Geschichte angemessen mit Geschehenem gefüllt werden, wie dies trotz aller Menschlichkeit des Menschen von der Geschichtswissenschaft verantwortungsbewusst zu erfolgen hat.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler