Tiews, Alina Laura, Fluchtpunkt Film. Integrationen von Flüchtlingen und Vertriebenen durch den deutschen Nachkriegsfilm 1945-1990 (= Diktatur und Demokratie im 20. Jahrhundert 6). be.bra Verlag, Berlin-Brandenburg 2017. 368 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Der Mensch hat im Laufe seiner Geschichte mittels seines Verstands eine ganze Reihe von wichtigen Fertigkeiten entwickelt, die der außermenschlichen Natur unbekannt waren und sind. Zu ihnen zählen außer dem Sprechen, Malen und Schreiben auch das Telefonieren, Telegraphieren und Photographieren. Dabei folgten der Entdeckung der Lichtempfindlichkeit von Silbersalzen in dem Jahre 1727 die Festhaltung eines Bildes auf einer Zinnplatte durch Joseph Nicéphore Nièpce, die unikate Daguerrotypie Louis Daguerres, das bei dem Betrachter den Eindruck bewegter Bilder erzeugende Lebensrad, die Serienfotografie eines galoppierenden Pferdes und 1888 die ersten bewegten Bilder, die sich als Film bezeichnen lassen. Seitdem ist der Film als Aufzeichnung oder Nachahmung einer Wirklichkeit ein fester Bestandteil der menschlichen Informationswelt.

 

Mit einem besonderen Aspekt der weiteren Entwicklung beschäftigt sich die mit Michael Schwartze entwickelte und von ihm betreute Idee einer Betrachtung der Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen durch den deutschen Nachkriegsfilm der 1984 geborenen, in neuerer und neuester Geschichte sowie deutscher Philologie an der Humboldt-Universität in Berlin und in Münster ausgebildeten, von 2005 bis 2009 für das Deutsche Historische Museum arbeitende und seit 2013 als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Hans-Bredow-Instituts in Hamburg tätigen Verfasserin, deren in Münster angenommene, mit Unterstützung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gedruckte Dissertation der Allgemeinheit mit dem vorliegenden Werk zur Verfügung gestellt ist. Die Untersuchung gliedert sich nach einer Einleitung über Forschungsstand, Gegenstand, Fragestellung, Quellen, Theorien und Methode sowie Aufbau in vier Abschnitte. Sie betreffen Flucht und Vertreibung als Gegenwartsfilme zwischen 1946 und 1964, Übergänge und Umbrüche zwischen 1965 und 1975, Flucht und Vertreibung als Historienfilme zwischen 1965 und 1989 sowie die Bedeutung fiktionaler Filme für die Nachkriegsgeschichte von Flucht und Vertreibung.

 

In diesem Rahmen wertet die Bearbeiterin zahlreiche Filme (wie In jenen Tagen, Die Brücke, Grün ist die Heide, Schlösser und Katen, Stahlnetz-Rehe, Wege übers Land, Daniel Druskat, Jauche und Levkojen, Nirgendwo ist Poenichen, Heimatmuseum, Märkische Chronik oder Jadup und Boel) aus und verwendet daneben unveröffentlichtes Archivmaterial  zur Erhellung von Produktion und Rezeption. Dabei kann sie zeigen, dass Spielfilme wie Fernsehfilme die Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen des zweiten Weltkriegs in den vier Besatzungszonen wie in den beiden aus dem Deutschen Reich entstandenen Staaten mitgestalteten. Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der bis 1990 bestehenden Deutschen Demokratischen Republik in  der vorangehenden sowjetischen Besatzungszone lassen sich in diesem Zusammenhang sowohl Unterschiede wie auch Ähnlichkeiten ermitteln.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler