Stolleis, Michael, Verfassungs(ge)schichten, mit Kommentaren von Gusy, Christoph/Kaiser, Anna-Bettina (= Fundamenta Juris Publici 6). Mohr Siebeck, Tübingen 2017. 90 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Nach dem kurzen Vorwort der Herausgeber ist die Fundamenta Juris Publici benannte Reihe die Schriftenreihe des Gesprächskreises Grundlagen des öffentlichen Rechtes, der sich 2011 als Sektion der Tagung der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer konstituiert hat. Die einmal in jedem Jahre geplanten Bände wollen den in der Sektionssitzung gehaltenen Vortrag und die beiden dazu abgegebenen Kommentare dokumentieren. Dabei will der Kreis das wissenschaftliche Gespräch auf die ideengeschichtlichen, verfassungsgeschichtlichen, verwaltungsgeschichtlichen, rechtsphilosophischen, sozialphilosophischen, staatsphilosophischen, rechtstheoretischen, rechtsdogmatischen und rechtssoziologischen Fundamente des ius publicum konzentrieren.

 

Der vorliegende schlanke Band dokumentiert das Grundlagengespräch der Staatsrechtslehrertagung in Linz in dem Oktober 2016. Gewidmet war es der Verfassung als historisch Überkommenen als Teil der allgemeinen Geschichte und der Rechtsgeschichte und auch als Erfahrungsschicht und Prägeschicht, auf deren Grundlage die geltende Verfassung als Antwort zu verstehen ist. Im Mittelpunkt der Überlegungen standen gemäß der überzeugenden Vorstellung des Referenten Bedeutung und Berechtigung der Verfassungsgeschichte als „Objekt rechtswissenschaftlicher Reflexion und Theoriebildung“.

 

Michael Stolleins, der sich seit 1988 durch seine Geschichte des öffentlichen Rechtes ein monumentales Denkmal gesetzt hat, gliedert seine Dietmar Willoweit zu dem 80. Geburtstag gewidmeten Ausführungen über Verfassungs(ge)schichten als Objekt rechtswissenschaftlicher Reflexion und Theoriebildung in sechs Teile über die Lage des Faches an deutschsprachigen Universitäten, Reichsgeschichte, Staats- und Rechtsgeschichte, Verfassungsgeschichte, Verfassungs(ge)schichten und Theoriebildung, Verfassungsgeschichte und Ideengeschichte, Verfassungsleitbilder der Gegenwart und die Entwicklung von der nationalen zur europäischen und zur international vergleichenden Verfassungsgeschichte. Hieraus gewinnt er sieben Thesen, nach denen (deutsche) Verfassungsgeschichte zwar in der deutschen rechtswissenschaftlichen Ausbildung als Teil einer weit verstandenen Rechtsgeschichte ein Randfach mit schwindender Bedeutung ist, Verfassungstheorie ohne geschichtliche Grundlegung aber leer bleibt und bei wachsender Globalisierung der Aufgabe das Fundament historischer Quellen und die Reichweite der darauf gegründeten Aussagen zunehmend präziser bestimmt werden müssen, wozu die Kommentatoren keine grundlegenden Einwände erheben, sondern nur zusätzliche Relativierungsvorschläge einbringen.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler