Schroeder, Klaus-Peter, „Sie haben kaum Chancen, auf einen Lehrstuhl berufen zu werden“ – Die Heidelberger juristische Fakultät und ihre Mitglieder jüdischer Herkunft (= Heidelberger rechtswissenschaftliche Abhandlungen 16). Mohr Siebeck, Tübingen 2017. XIV, 372 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Bereits in seinem Werk von 2010 über die Heidelberger Juristische Fakultät im 19. und 20. Jahrhundert ist Klaus-Peter Schroeder auf die Fakultätsmitglieder jüdischer Herkunft eingegangen. In seinem neuen Buch bringt er eine „vertiefende Darstellung der großen Leistungen, welche die Rechtsgelehrten jüdischer Herkunft für die Ruperto Carola erbracht haben“ (S. VIII). Das Werk beginnt mit einer knappen Darstellung über die „Stadt, ihre Universität und die Juden“ (S. 1ff.). Bereits hier stellt Schroeder fest, dass keine deutsche Universität bis 1849 „so viele jüdische Privatdozenten zugelassen“ habe wie die Heidelberger Juristische Fakultät (S. 5). Im ersten Kapitel S. 7-129 geht es um die „Judenemanzipation im Großherzogtum Baden und die Heidelberger Juristische Fakultät bis zur Reichsgründung“ (S. 7-129). Grundlage der Stellung der Juden war das am 1. 7. 1809 in Kraft getretene „Constitutionsedict der Juden“, das deren „volle Emancipation“ in wichtigen Bereichen verwirklichte (S. 12); allerdings hatten sie nach der Verfassung von 1818 keinen Zugang zu den Staatsämtern. In der sorgfältig geführten Matrikel der Heidelberger Universität erscheint 1808 erstmals ein jüdischer Student, der sich für das juristische Fach einschrieb (S. 29). Bis 1819 folgten weitere 15 jüdische Jurastudenten. Die erste Promotion eines jüdischen Juristen erfolgte 1816 (S. 31). Im Zeitraum bis 1848 waren es 37% der in Heidelberg eingeschriebenen Studenten, welche die juristischen Staatsprüfungen ablegten. Die offene, liberale Einstellung der rechtswissenschaftlichen Fakultät und der Ministerialbürokratie führte dazu, dass sich an keiner deutschen Hochschule so viele jüdische Akademiker habilitieren konnten wie in Heidelberg in der Zeit bis 1848.

 

Als erster habilitierte sich 1818 Sigmund Zimmern (S. 33ff.), Sohn eines wohlhabenden Bankiers und Kaufmanns. Zum ordentlichen Prof. (Nominalprofessor ohne Besoldung) wurde er erst ernannt, nachdem er 1821 zum lutherisch-reformierten Bekenntnis übergetreten war (S. 45). 1825 wechselte er an die Universität Jena, wo er 1830 verstarb (S. 47ff.). Der spätere Berliner Ordinarius Eduard Gans promovierte 1819 in Heidelberg, erhielt allerdings Zutritt zur akademischen Laufbahn in Berlin erst nach einem Glaubenswechsel; dagegen wurde Gabriel Riesser die Privatdozentur in Heidelberg verweigert mit der Begründung, dass die Zahl der „vorhandenen Privatdozenten“ (S. 52) mehr als hinreichend sei. Weitere Habilitanden waren Heinrich Bernhard Oppenheim (von ihm wurde erstmals 1846 der Begriff „Kathedersozialist“ verwandt), Alexander Friedländer, Heinrich Dernburg (zuletzt Professo in Berlin) und Georg Michael Asher. Breit behandelt werden der Handelsrechtler Levin Goldschmidt (S. 82ff.), der sich 1855 in Heidelberg habilitierte, dem aber bis 1860 die außerordentliche Professur versagt blieb (1875 ordentlicher Professor in Berlin), und Paul Laband, der 1861 sich in Heidelberg habilitierte und 1887 eine Rückkehr von Straßburg nach Heidelberg ablehnte (S. 115ff.).

 

Im 2. Kapitel behandelt Schroeder die Kaiserzeit unter der Überschrift: „Die Ruperto Carola und ihre Juristische Fakultät im Kaiserreich – Eine ‚Hochburg des Liberalismus?‘“ (S. 131-266). Im Wintersemester 1910/1911 betrug der Anteil der neu immatrikulierten jüdischen Studenten 13%, von denen sich ein gutes Drittel für die Juristische Fakultät entschied (S. 135f.). Seit den 1880er Jahren lässt sich bei der Bevölkerung Heidelbergs, aber auch bei den Studenten eine antisemitische Einstellung beobachten (S. 141ff.). Die Hochschullehrer der Juristischen Fakultät waren dagegen wie auch die Karlsruher Ministerialbürokratie sehr liberal eingestellt. Im ersten Dezennium des 20. Jahrhunderts war „nahezu die Hälfte der ordentlichen Lehrstühle“ mit jüdischen Professoren besetzt (S. 137). Ob bei der Ablehnung des Habilitationsvorhabens Hermann Kantorowicz antisemitische Motive mit maßgebend waren, lässt Schroeder angesichts der Quellenlage dahingestellt (S. 139). „Weit überdurchschnittlich repräsentiert“ waren bei den Habilitationen nach Schroeder bis 1900 konvertierte Juden. Hervorzuheben ist, dass „nahezu sämtliche Habilitationen von Juristen mit jüdischem Hintergrund bis wenige Jahre nach der Reichsgründung in Heidelberg“ stattfanden (S. 149). Im Einzelnen geht Schroeder ein auf Habilitationen von Siegfried Brie (zuletzt in Breslau), Edgar Loening (zuletzt in Halle), Max Cohn (Rat; ab 1879 in Amsterdam), Richard Loening (ab 1881 in Jena), Georg Ludwig Cohn (von ihm stammt ein Wortverzeichnis zum Bürgerlichen Gesetzbuch), Julius Karl Hatschek (zuletzt in Göttingen), dessen Werk noch zu entdecken ist (S. 185), und Leopold Perels, langjähriger führender Mitarbeiter am Deutschen Rechtswörterbuch (1940 in das Lager Gros/Pyrenäen abgeschoben; verstorben 1954 unter entwürdigenden Umständen). Ausführlich geht Schroeder auch ein auf die Neuberufung von Georg Jellinek (zum Wintersemester 1911), von Karl August Heinsheimer (LG-Rat in Heidelberg; 1903 Habilitation; ohne Berufung an eine andere Universität 1907 Ordinarius in Heidelberg) und des großen Interpolationenforschers und Papyrologen Otto Gradenwitz (ab 1908 in Heidelberg; 1928 Antrag auf vorzeitige Emeritierung wegen Übergehung seiner Wahl zum Rektor, ohne dass dabei antisemitische Vorbehalte eine Rolle spielten).

 

Im dritten Kapitel befasst sich Schroeder mit den Neuberufungen und Habilitationen der Weimarer Zeit (S. 267-323), in der im Kreis der Dozenten der Juristischen Fakultät „antisemitische Vorbehalte“ verpönt waren (S. 269), weil man nur zu gut wusste, dass die „weltweite Ausstrahlung der Fakultät“ hauptsächlich auf Rechtsgelehrten jüdischer Herkunft beruhte (S. 274f.). Neu berufen wurden der Romanist Ernst Levy (ab 1928 in Heidelberg; 1935 Emigration über die Schweiz in die USA) und der Verwaltungsrechtler Walter Jellinek (ab 1929 in Heidelberg; Ende 1935 in den Ruhestand versetzt), der 1945 rehabilitiert und 1947 Mitglied des württemberg-badischen Verwaltungsgerichts wurde, und Landgerichtsrat Friedrich Ludwig Wilhelm Darmstaedter (habilitiert 1930), der nach seiner Entlassung zunächst nach Italien und im August 1939 nach Großbritannien auswanderte, wo er 1949 eine Dozentur an der London School of Economics and Political Science erlangte (1949 Honorarprofessor in Heidelberg). – In den „Schlussbetrachtungen“ geht es um die „jüdisch versippten“ Hochschullehrer: Eberhard Freiherr von Künßberg (1910 Habilitation, Leiter des Deutschen Rechtswörterbuchs, 1928 Prof. an der Preußischen Akademie der Wissenschaften), Karl Geiler (1921 Habilitation, 1929 Entzug der Lehrbefugnis; ab 1946 wieder an der Universität Heidelberg, deren Rektor er 1948 wurde) und der Schweizer Max Gutzwiller (von 1926 bis 1936 in Heidelberg; anschließend in Freiburg im Uechtland). Abgeschlossen wird das Werk mit einem umfassenden Personenregister (S. 367-372).

 

Mit seiner Darstellung der Biografien und der Gelehrtengeschichte der Mitglieder jüdischer Herkunft der Heidelberger Juristischen Fakultät hat Schroeder gleichzeitig auch, wenn auch in unterschiedlichem Umfang, deren wissenschaftliches Werk erschlossen, das meist noch einer detailliertere Würdigung bedarf. Dieses Ergebnis beruht in wesentlichen Teilen auf einer Auswertung der Akten der Universität Heidelberg und des Generallandesarchivs Karlsruhe. Die glänzend und immer interessant geschriebene Publikation Schroeders, die seine drei bisher vorliegenden Arbeiten über die Geschichte der Heidelberger Juristischen Fakultät komplettiert, ist gleichzeitig ein wichtiger und notwendiger Beitrag zur Blüte der deutschen Rechtswissenschaft des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die zu wesentlichen Teilen auf den Arbeiten und der Ausstrahlung der Hochschuljuristen jüdischer Herkunft beruhte. Es ist zu wünschen, dass ähnlich breite Darstellungen insbesondere für die Berliner, Kieler und Breslauer Juristische Fakultät in Angriff genommen werden.

 

Kiel

Werner Schubert