Königseder, Angelika, Walter de Gruyter. Ein Wissenschaftsverlag im Nationalsozialismus. Tübingen, Mohr (Siebeck) 2016. XII, 321 S. Besprochen von Thomas Vormbaum.

 

Im Jahre 1911 führte der Verleger Walter de Gruyter fünf traditionsreiche wissenschaftliche Verlage mit unterschiedlicher fachlicher Ausrichtung zu der „Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co“ (ab 1923 „Verlag Walter de Gruyter & Co“) zusammen (Georg Reimer, I. Guttentag, Karl I Trübner, G. J. Göschen, Veit & Comp.). Einen Schwerpunkt im Bereich der Rechts- und Staatswissenschaften hatte vor allem die Verlagsbuchhandlung I. Guttentag. Dort erschienen nicht nur über Jahrzehnte hinweg Sammlungen von Reichsgesetzen und preußischen Gesetzen, sondern u. a. auch die Verhandlungen des Deutschen Juristentages (bis 1930), die Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (bis heute), der BGB-Kommentar Plancks (des „Vaters des BGB“) und der HGB-Kommentar Staubs. Dieses Sortiment bedingte bereits lange vor 1933 ein Bemühen des Verlages um enge Kontakte zu den Berliner Regierungsstellen und zur Berliner Universität – ein Bemühen, das durch die örtliche Nähe zwischen dem Berliner Verlagssitz und den Regierungsstellen noch gefördert wurde. In der Verlagsleitung folgte auf Walter de Gruyter nach dessen Tod 1923 sein Schwiegersohn Herbert Cram, der den vorhandenen Verlagskomponenten durch Zukauf mehrerer Verlage weitere hinzufügte, sodass der Verlag bei Machtantritt der Nationalsozialisten vom Anspruch her ein wissenschaftlicher Universalverlag war (15).

 

Muss es Unbehagen erregen, wenn ein kritisches Buch über die nationalsozialistische Vergangenheit dieses renommierten Wissenschaftsverlages in einem anderen renommierten Wissenschaftsverlag erscheint? Ein solches Empfinden verwandelt sich nach Lektüre des Vorwortes von Martin Cram und Christoph Seils rasch in Respekt. Die beiden Verfasser sind Mitglied bzw. Vorsitzender des Kuratoriums der Walter de Gruyter Stiftung, ersterer der Urenkel Herbert Crams. Die Stiftung selbst war es, welche die Initiative zur Erforschung der Geschichte des Verlages unter der nationalsozialistischen Herrschaft ergriff. Der Autorin der Studie, Historikerin und Politikwissenschaftlerin, wurden die Verlagsarchive zugänglich gemacht, ihr jede Hilfe gewährt, aber keinerlei Einfluss auf ihre Arbeit genommen. Und „um jeden Anschein der Einflussnahme zu vermeiden, ist das Buch auch nicht bei de Gruyter, sondern bei Mohr Siebeck erschienen“ (VII).

 

Es wäre wünschenswert, dass mehr Verlage, vor allem mehr juristische Verlage, als bisher, nicht nur ihre Rolle in jener Zeit aufarbeiten würden, sondern sich auch eine solch offene Haltung gegenüber den mit der Aufarbeitung befassten Forschern zulegen. Der Leser empfängt auf keiner Seite des Werkes den Eindruck, dass die Autorin die Bereitwilligkeit des Verlages mit irgendeiner Art von Zurückhaltung in ihren Recherchen und Bewertungen vergolten hat. Der Rezensent, der sich von der Neigung zur Milde gegenüber Akteuren der nationalsozialistishen Zeit frei glaubt (allerdings als Historiker sich bemüht, auch diese Akteure aus den Bedingungen heraus, unter denen sie handelten, zu verstehen), würde in einigen Punkten sogar eher zu einer etwas milderen (besser gesagt: weniger kritischen) Beurteilung, zumindest in der Formulierung, neigen als die Autorin. Das heißt freilich nicht, dass deren Beurteilungen „falsch“ wären; wie schwierig nämlich solche Urteile zu fällen sind, macht gerade der Forschungsgegenstand de Gruyter deutlich. Die Verfasser des Vorwortes haben ja recht, wenn sie feststellen: „Spektakuläres hat die Arbeit Angelika Königseders nicht zutage gefördert, nichts zumindest, was Historiker aufhorchen ließe oder den Medien Schlagzeilen bringen würde. Spektakulär ist vielmehr die Alltäglichkeit des Arrangements des Verlages Walter de Gruyter mit den Nationalsozialisten“ (VII). Es geht also vor allem darum, ob und wieweit der Verlag und vor allem sein Leiter Herbert Cram die Spielräume, die ihnen unter den Rahmenbedingungen der nationalsozialistischen Herrschaft verblieben waren, nutzten, um möglichst wenige Abstriche an den moralischen und professionellen Maßstäben eines Wissenschaftsverlags zu machen.

 

Zu diesen Rahmenbedingungen gehörten die Kompetenzgeflechte der nationalsozialistischen Polykratie, die für einen Verlag, der seit jeher auf „Landschaftspflege“ bei den politischen Instanzen Wert legte, eine Herausforderung bedeuteten (17). Seit 1933 und vor allem seit Kriegsbeginn waren gute Beziehungen u. a. zum Propagandaministerium, zur Reichsschrifttumskammer und (für Zeitschriften) zur Reichspressekammer auch wegen der Erlangung der erforderlichen Zuteilung von Papierkontingenten unverzichtbar (19, 142, 217). Andererseits hatten die Wissenschaftsverlage gegenüber belletristischen Verlagen größere Handlungsspielräume, weil das Regime vor allem an der Entwicklung und Verbreitung technischer und naturwissenschaftlicher Erkenntnisse interessiert war und einschlägige Literatur auch dem Export und damit der Devisenbeschaffung diente (170) – und dies noch bis kurz vor Kriegsende (ebd.).

 

Die Verfasserin zeigt an mehreren Einzelfällen auf, dass Herbert Cram diese Spielräume nicht auslotete und gegebenenfalls nutzte, sondern insbesondere in der Frage der Vertragsfortsetzung mit jüdischen Autoren nach kurzem Zögern die Vorstellungen der Staats- und Parteistellen – oft in vorauseilendem Gehorsam (301) – genauestens umsetzte (21 u. ö.; Beispiele: 51ff.) – gelegentlich mit einer Argumentation gegenüber den Betroffenen, die man mit der Verfasserin als zynisch kennzeichnen mag (62). Wie weit und wie lange – jedenfalls in dem hier besonders interessierenden juristischen Bereich – diese Vertragsfortsetzung hätte durchgehalten werden können, ist eine andere, wohl eher mit Skepsis zu beantwortende Frage.

 

Ähnliches gilt für die Inhalte der verlegten Werke, Ein Verlag, der traditionell Gesetzestexte verlegte, konnte wahrscheinlich nicht – jedenfalls nicht durchgängig – bei den nationalsozialistisch inspritierten Texten eine Ausnahme machen, ohne sich Schwierigkeiten einzuhandeln. Ob man sich danach drängen musste wie bei dem – erfolglosen – Versuch, die Nürnberger Gesetze zu kommentieren (200f.), ist freilich eine andere Frage. Auch hätte man vielleicht im einen oder anderen Fall Einleitungen und Kommentierungen Autoren überlassen können, die dem Regime weniger nahe standen.

Mit einer Ausnahme („Stilkes Rechtsbibliothek“; 124ff., insb. 133) scheint sich trotz mehrerer Verlagsübernahmen auch kein Anhaltspunkt für eine Ausnutzung von „Arisierungs“-Zwangslagen ergeben zu haben.

 

Ein problematischer Punkt ist gewiss die Beschäftigung kriegsgefangener französischer Setzer und Drucker in der verlagseigenen Druckerei (164ff.); andererseits gehört sie wohl nicht in die Kategorie der Vernichtung durch Arbeit von Sklavenarbeitern. Allerdings ist ein (anscheinend erfolgloser) Versuch des Verlages, auch solche zugeteilt zu bekommen, aktenkundig (167 f.).

 

Herbert Cram war kein Nationalsozialist, er war nicht Parteimitglied, lehnte die Rassenlehre ab und stand der Bekennenden Kirche nahe; auch beschäftigte er zeitweise die Regimegegner Jakob Grimme und Paul Löbe als Lektoren (93ff.). Als konservativer Deutschnationaler wird er in manchen politischen Fragen gemeinsame Auffassungen mit den Nationalsozialisten gehabt haben (zum „Anschluss“ Österreichs: 47). Als Verlagsleiter aber stellte er „die Geschicke und das wirtschaftliche Fortkommen des ihm anvertrauten Familienunternehmens über die Interessen und das Schicksal verfolgter Autoren und Mitarbeiter“ (302). Insofern war er „opportunistisch wie der Großteil der privatwirtschaftlichen Unternehmer während der NS-Herrschaft“ (300). Und auf dieser Ebene hat der wirtschaftliche Erfolg des Verlages während dieser Zeit ihm Recht gegeben.

 

Das gründlich recherchierte Buch Königseders vermittelt einen guten Einblick in die Rahmenbedingungen und die Spielräume eines wissenschaftlichen Verlegers in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft. Eine abschließende Geschichte des deutschen Verlagswesens im Nationalsozialismus aber wird insgesamt wohl erst möglich sein, wenn noch mehr Einzeluntersuchungen als bisher auch einen Vergleich zwischen den Verlagen ermöglichen[1]. Königseder hat dazu einen wichtigen Beitrag geleistet.

 

Hagen                                                Thomas Vormbaum



[1]     Bei einem Vergleich mit dem juristischen Verlag C. H Beck schneidet de Gruyter anscheinend nicht schlecht ab. Wie weit das Verhalten des Wissenschaftsverlags Springer, das die Verfasserin als vorbildich schildert (186), durch dessen besondere Situation bedingt ist (s. auch 23), wäre noch zu klären.