Ipsen, Jörn, Macht versus Recht. Der Hannoversche Verfassungskonflikt 1837-1840. Beck, München 2017. XIII, 383 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Da das Recht erst mit dem Menschen entstanden ist, ist es jünger als die auch bei vormenschlichen Tieren vorhandene Macht. Neben ihr musste es von seinem Anfang an um einen anerkannten Platz auch in der Gesellschaft kämpfen und kann ihn immer auch nur relativ sichern und behaupten. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür ist die Verfassung, die zumindest in ihrer formellen Gestalt wohl erst in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts Wirklichkeit werden konnte.

 

Welche Schwierigkeiten auf diesem Weg zu bewältigen waren, zeigt der in Weihe bei Harburg 1944 geborene, als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes in München und Göttingen ausgebildete, 1974 mit einer Dissertation über Richterrecht und Verfassung in Göttingen 1974 promovierte, 1980 mit einer Schrift über Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit von Norm und Einzelakt habilitierte, 1981 für öffentliches Recht an die Universität Osnabrück berufene und dort 2012 emeritierte Verfasser. Er ist durch eine Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland (2009), durch einen Kommentar der Verfassung Niedersachsens und durch eine Ausgabe deutscher Verfassungen zwischen 1849 und 1949 als hervorragender Kenner der Verfassungsgeschichte ausgewiesen. In seinem vorliegenden Werk behandelt er unter Einbeziehung vieler bisher unbeachteter Archivalien den in seiner Vorgeschichte  bis 1835 zurückreichenden, mit dem Antrittspatent König Ernst Augusts von Hannover an dem 5. Jul 1837 vor ziemlich genau 180 Jahren beginnenden und am  1. November 1837 vollendeten Staatsstreich, der einen bis 1840 währenden Verfassungskonflikt nach sich zog, der wegen der Protestation der Göttinger Sieben politische Aufmerksamkeit weit über Hannover hinaus zur Folge hatte.

 

Nach dem kurzen Vorwort des Verfasser geht sein Plan zu einer dem Andenken an die Göttinger Sieben gewidmeten Darstellung dieses verfassungsgeschichtlich höchst bedeutsamen Konflikts auf seine am 6. Juli 2012 unter dem Titel hannoverscher Staatsstreich und Osnabrücker Verfassungsbeschwerde gehaltene Abschiedsvorlesung zurück. Gegliedert ist das erheblich weiterführende Werk in 20 Kapitel, die mit der  Vorgeschichte und einer Personalunion beginnen und über die Entstehung des Staatsgrundgesetzes vom 26. September 1833, die Vorbereitung des Staatsstreichs des Herzogs von Cumberland (1771-1851) mit Georg Freiherr von Schele (1771-1844) seit dem 24. November 1836, die Vertagung der Ständeversammlung, Gutachten zur Verfassungsfrage, publizistische Stellungnahmen, die außenpolitische Absicherung, die Vollendung des Staatsstreichs, die Protestation und Entlassung der Göttinger Sieben, die Verfassungsbeschwerde der Stadt Osnabrück, die Rechtsgutachten der juristischen Fakultäten in Heidelberg, Jena und Tübingen, die verfassungslose Zeit, den Widerstand des Magistrats der Residenzstadt Hannover, das Verfahren der süddeutschen Staaten vor der Bundesversammlung, die Verfassung Hannovers von 1840, Jahre der Obstruktion und Repression  bis zu der Proklamation vom 14. März 1848 führen und daran eine Darlegung der Rezeption des Verfassungskonflikts in der Geschichtswissenschaft (Oppermann, Treitschke, Heinemann, Hassell, Smend, Huber, Schubert) und der Protestationsschrift der Göttinger Sieben (Dilcher, Link, Sellert, See, Schnapp) anschließen. Im Ergebnis sieht der Verfasser überzeugend eine erst im März endende Despotie in dem Königreich Hannover, in deren Mittelpunkt er neben dem König den Opportunisten Schele stellt, dem als dritte dramatis persona der gemäßigte Konservative Johann Carl Bertram Stüve (1798-1872) gegenübergestellt wird, und legt damit einen bestmöglichen Grund für jede weitere Betrachtung des. schweren verfassungspolitischen Konflikts, in dem die Macht den Sieg des Rechtes zwar verzögern, aber letztlich doch nicht aufhalten konnte.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler